Konsens nicht von oben erzwingen

taz-Debatte um den Masterplan City Ost: Die „identitätsstiftende Stadtentwicklung“ und die Denunziation der Moderne soll ohne die städtischen Akteure betrieben werden  ■ Von Thomas Flierl

Es hat wohl noch keine städtebauliche Debatte in Berlin gegeben, die bereits vor ihrem Beginn so kontrovers geführt wurde wie die offiziell erst am 29. November im Stadtforum startende Auseinandersetzung um das „Planwerk Berliner Innenstadt“. Das ist verständlich, denn die angekündigte Präsentation eines „identitätsstiftenden“ städtebaulichen Gesamtkonzeptes, eines „Bildes“ für den Innenstadtbereich fordert notwendig alle heraus, denen ihre „Identität“ in der Stadtmitte etwas wert ist. Und jeder, der das Planwerk sah, war sich sofort bewußt, wie weitreichend die in Aussicht genommenen Veränderungen sind.

Die bisherigen für einzelne symbolische Berliner Orte entwickelten Zukunftsbilder, die noch im vorigen Jahr als Stern-Bilder parallel zu Christos Reichstagsverhüllung in den Rotunden der Verheißung gezeigt wurden, sind stadtpolitisch längst verglüht. Die isolierte City am Potsdamer Platz nimmt reale Gestalt an und setzt sich damit praktischer Kritik aus, Kollhoffs Entwurf für den Alexanderplatz wurde zur Ikone überzogener Wachstumseuphorie schlechthin und droht dennoch als Fragment realisiert zu werden. Der Streit Schloß versus Palast blockiert jede „identitätsstiftende“ Aneignung der „Mitte der Mitte“ durch die BürgerInnen aus Ost und West und bezeugt die andauernde Unfähigkeit der Stadtpolitik zum Umgang mit diesem zentralen Ort. Währenddessen inszeniert die „Schaustelle“ das Werden des bereits Beschlossenen, die Zukunft von gestern.

Insofern ist es ein Fortschritt, wenn Stadtentwicklungssenator Strieder und sein Staatssekretär Stimmann die zahllosen Einzelprojekte und -planungen der letzten Jahre zusammenfassen und Grundlagen für eine gesamtstädtische Debatte über die Perspektive der Berliner Innenstadt erarbeiten lassen. Doch das bisher erkennbare Verfahren des Planwerks, nicht zu Unrecht bereits als „Masterplan“ kritisch charakterisiert, droht bereits vor seinem Beginn selbst zur Blockade zu werden. Zum einen respektiert das Planwerk artig (politisch korrekt) bereits getroffene Fehlentscheidungen wie die Alexplanung. Zum anderen ist das Verfahren selbst autoritär konzipiert: es liefert die Lösung für das Konzept der Rücknahme der Moderne im anschaulichen Planwerk, ohne daß zuvor ein Problembewußtsein über den Umgang mit der alten Innenstadt, den Zerstörungen, Überformungen und Weiterentwicklungen des Stadtgrundrisses oder gar ein Konsens hierüber überhaupt erarbeitet wurde. Es ist die unkritische Übertragung der „kritischen Rekonstruktion“ auf einen anderen Stadtgrundriß mit anderen Mitteln und im großen Maßstab.

Nach den einschneidenden Veränderungen der letzten Jahre und der notwendigen Rücknahme ebenso überzogener wie euphorischer Wachstumskonzepte ist eine Umsteuerung hin zu Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung in der Tat dringend geboten. Die gestreßte und verunsicherte Stadt müßte hierzu aber überhaupt erst einmal zu sich kommen und durch bürgerschaftliche Kommunikation einen stadtpolitischen Konsens erarbeiten. Dieser kann nicht von oben erzwungen werden, höchstens als ein offener Prozeß angeregt und unterstützt werden. Dies braucht Zeit, eine breit geführte öffentliche Diskussion und politische Verständigung. Nachhaltige Stadtentwicklung ohne demokratische Planungskultur kann und darf kein Weg sein. Planungsrechtlich unbestimmt, drängt dagegen das „Planwerk Innenstadt“ förmlich nach kurzfristigem Beschluß und strikter Umsetzung durch eigenständige Entwicklungsträger mit umfassenden Vollmachten. Wenn keine Öffentlichkeit existiert, vertritt stets die Zentrale das Gesamtinteresse – Bezirke und Betroffene stören da nur, erscheinen nur als Repräsentanten des Partikularismus. Warum wurden etwa die betroffenen Bezirke Mitte und Charlottenburg zur Eröffnungsveranstaltung des Stadtforums nicht um ihre Stellungnahmen gebeten? Gesamtstadt kann nur aus dem schwierigen Dialog der Bürgerschaft und ihrer communities entstehen. Statt „Check and ballance“ Modernisierungsdiktatur von oben? Braucht die europäische Stadt das Generalbaudirektorium?

Strieder und Stimmann stoßen mit ihrer Initiative bewußt in ein derzeitiges politisches Vakuum und füllen es machtvoll mit einem Planbild. Wo aber ist die Analyse der Defizite der Innenstadt, welche alternativen Entwicklungsszenarien werden zur Diskussion gestellt, welche gestalterischen Varianten wären denkbar? Welche Phasen der Berliner Planungs- und Architekturgeschichte sind auf welche Weise ernst zu nehmen? Ein Modernisierungskonzept, das diese Fragen nicht beantwortet, geht über die Akteure hinweg, statt sie einzubeziehen, muß missionarisch die Erlösung aller versprechen und riskiert dabei billigend die Vertreibung vieler. Das ist so raffiniert gedacht, daß nur nichts schiefgehen darf, die Gegenkräfte müssen sich um jeden Preis paralysieren. Der richtige und notwendige Grundsatzstreit über die Verkehrsplanung wird etwa überkompensiert durch das Versprechen „der geistigen Rückgewinnung des historischen Zentrums“ in das Bewußtsein der gesamten Stadt, ja der ganzen Bundesrepublik. Da dieses Zentrum im Osten liegt, erleichtert es andererseits – in der Gestalt des DDR-Städtebaus – die Nachkriegsmoderne insgesamt zu denunzieren. Berlin braucht keinen neuen Kulturkampf, schon gar keinen, der zwischen Ost und West inszeniert wird, der aber eigentlich gegen den modernen Städtebau als solchen gerichtet ist.

Die letzten Korrekturen vor der Präsentation des Planwerks für die City Ost, wie die stärkere Respektierung des großen öffentlichen Raumes zwischen Palast und Alex sowie des zweiten Bauabschnitts der Karl-Marx-Allee oder der Bebauung an der Leipziger Straße, lassen hoffen, daß der Akzeptanz im Osten keine nachrangige Stellung eingeräumt werden kann. Und die Behandlung des Kulturforums im Planwerk City West gibt vielleicht ein Modell, wie auch ein modernes Bauensemble erhalten und neu in die Stadt integriert werden könnte.

Thomas Flierl (39) ist Kulturwissenschaftler und sitzt für die PDS im Abgeordnetenhaus

Der nächste Beitrag zur Debatte erscheint morgen