Der Unsterbliche wird sterblich

Die Zeiten ändern sich: Nach der Niederlage gegen Virgil Hill ist Henry Maske ein ehemaliger Halbschwergewichtler, der mal Weltmeister war  ■ Aus München Peter Unfried

Für eine kurze Zeit war er der Weltbeste der IBF. Aber wie das so geht in diesem Geschäft: Die Zeiten ändern sich – und ein neuer Champion kommt. Robert Lee hat das gesagt, der Chef des Boxweltverbandes IBF. Gewünscht war in diesem Moment eigentlich eine Würdigung eines mutmaßlich herausragenden Individuums. Herausgekommen ist eine Huldigung der Branche und ihrer Grundlagen. Henry Maske saß zwei Stühle weiter und hat ein bißchen bitter gelächelt.

„Wissen Se“, sagte sein Wolke, „das ist so eine Sache. Man kann das Urteil verstehen, man kann auch ein Unentschieden daraus machen.“ Die Punktrichter machten aber keins draus. Nur Herr Urzo aus Italien hatte Maske vorn (116:112), die beiden anderen Virgil Hill (115:113, 116:113), weshalb der WBA-Weltmeister nun auch den IBF-Gürtel besitzt.

Maske aber stand plötzlich gürtellos nackt da, als er in der Münchner Olympiahalle im Ring niederkniete, die Fäuste vor dem Gesicht, und bitterlich weinte.

Was man sagen kann: Es war eher der Kampf von Virgil Hill als der von Maske. Hill agierte und entzog sich flink, Maske agierte zunächst gar nicht. Nachdem die ersten drei Runden verloren waren, war auch der Kampf schon weg. Der Konterboxer mußte angreifen, wollte „hart treffen statt locker durchzuarbeiten“ (Wolke). In den mittleren Runden schien es kurz, als würde Maske den Kampf doch zu seinem machen. Dann erkannte man, daß er nur Hill und dessen Kampfplan hinterherlief.

Es wurde überhaupt nicht viel getroffen in diesem Kampf. Hills Taktik, „sich ständig kleinzumachen“ (Maske), wurde von Ringrichter Carlos Berrocal (Panama) toleriert, Maskes bewährtes Kopfrunterdrücken früh mit Ermahnungen gestört. Veranstalter Sauerland fand Berrocal „eine Katastrophe“. Es war so, daß Maske und seine Leute plötzlich so argumentierten wie sonsten die geschlagenen Gegner. „Die Defensive ist ein wichtiger Aspekt im Boxen“, sagte aber Virgil Hill, „wenn es nicht so wäre, wäre Maske nicht so lange der Weltbeste gewesen.“ Hill, so stellte sich heraus, war schlicht der klügere Maske. Und Maske war kein kluger Maske. „Es war eine der schwächsten Leistungen, die er je gezeigt hat“, befand Trainer Manfred Wolke.

Maske selbst möchte sich ein bißchen als Opfer des Geschäfts sehen. Es ist nur so: Er kennt das Geschäft. Das Geschäft war fast sieben Jahre in 31 Kämpfen gut zu ihm. Er hätte theoretisch so weggehen können. Aber selbst er wollte, sagt Wolke, „allen zeigen, wer der Größte ist“. Und zwei Verbände ohne Weltmeister zurücklassen. Maske wäre in diesem Fall größer gewesen als das Geschäft. Das war die wahre Hybris. Der große Abschied, sagt er nun, „paßt nicht ins kommerzielle Konzept“. Da klang eine US-amerikanische Verschwörung an.

Ein gestärkter Doppelweltmeister Virgil Hill (32) kann aber tatsächlich richtiges Geld verdienen. Er hat 22 Titelverteidigungen, er schmückt beide Verbände. Er ist die Gegenwart. So hat Maske nach drei Runden den „Wind wehen“ und sich zu einer „eindeutigen“ Entscheidung gezwungen gefühlt.

Es ist tatsächlich so, daß Henry Maske (32) bereits am frühen Sonntagmorgen Vergangenheit war. Das spürte jeder. Und das verbarg keiner. Außer Hill, diesem angenehmen Menschen, der in dieser „großen und traurigen Nacht“ gar nicht von der Zukunft sprechen mochte. Die anderen schon. Es gilt schließlich den nächsten Kampf zu boxen. Roy Jones, der aufgerückte Supermittelgewichtler, hat am Wochenende die WBC- „Interims-WM“ gewonnen. Ein Kampf der beiden kann richtig viel Geld bringen. Promoter Cedric Kushner könnte Hill womöglich über einen HBO-Vertrag hinaus gar ins wirklich interessante Pay- TV-Geschäft bringen. Womöglich muß aber erst William Guthrie, der IBF-Weltranglistenerste, geboxt werden.

Graciano Rocchigiani ist natürlich auch im Spiel. Der gehört zu denen, die sich gefreut haben, daß Maske erledigt wurde. „Ihr seid doch alle bescheuert!“ rief er den Zuschauern zu, die ihr Erstaunen über den Kampfausgang in „Schieber“-Rufen artikulierten. „Die Leute“, findet er „sind die ganze Zeit verdummt worden.“

Nun, das ist „Rocky live“, sagt der Sauerland-Geschäftsführer Jean-Marcel Nartz. Am Mittwoch wird sein Chef dem Boxer in Berlin Geld anbieten. Ein Kampf Rocchigiani–Hill „würde in Deutschland Sinn machen“, sagt Kushner. Auch für RTL, das mit 17,5 Millionen noch einmal eine wunderbare Einschaltquote verbuchte. Allerdings bietet die Interessengemeinschaft Don King/premiere auch mit.

Daß Maske doch noch ein weiteres letztes Mal den Kopf unter die Kapuze steckt, davon wird allgemein abgeraten. Veranstalter Sauerland sagt, es sei „der richtige Zeitpunkt aufzuhören“, und „eine zweite Niederlage gegen Hill wäre ja...“. Das Gesamtbild des perfekten Boxers in Deutschland, so beruhigen die Verantwortlichen, sei durch die Niederlage quasi nur komplettiert worden, mit einer tiefen „Sympathie“ (Kushner), die der tränenreiche Abschied hervorgerufen habe.

Nachher saß er da, in Anzug und mit Krawatte, das Gesicht unversehrt, und wirkte trotz der Niederlage plötzlich gar nicht richtig verzweifelt. Fast froh. Er darf jetzt, mit Werbeverträgen ausgestattet und weg von Frankfurt (Oder), leben. Denn: „Er ist ja nicht gestorben“, hat Kollege Torsten May beruhigt.

Bloß sterblich geworden.

Der treue Wolke, nachdem er seinem Kämpfer liebevoll die Handschuhe ausgezogen hatte, lächelte eine Weile ernst vor sich hin. Dann sagte er: „Wir wollen ihn so in Erinnerung behalten, wie er vorher war.“ Das wollen wir.