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Rückkehr in die Heimatlosigkeit

Rund eine Million Jemeniten lebten bis zu dem irakischen Überfall auf Kuwait 1990 in den Golfstaaten. Dann wurden sie ausgewiesen. Doch im Jemen gibt es für sie bis heute keine Zukunft  ■ Aus Hodeida Thomas Ludwig

Der Himmel verdüstert sich. Er verspricht einen Sandsturm oder – was in der Tihama nur selten vorkommt – Regen. Noch einmal schwillt die Hitze in der Küstenregion am Roten Meer an. Die Luftfeuchtigkeit ist nahe 100 Prozent. Omars Atem geht schwer. Seine Stimme ist leise und gebrochen, die Gesundheit nicht mehr die beste. Wie zum Beweis fischt er ein Glasauge aus der rechten Augenhöhle und balanciert es auf der Handfläche. Ein Unglück beim Schweißen, damals in Saudi-Arabien.

Der 55jährige sitzt vor seiner Hütte auf einem Bettgestell aus Holz und geflochtenen Stricken. Der Körper des Mannes ist von Mangelernährung gezeichnet, die Knochen stehen eckig hervor, die Zähne sind schlecht: Tee, Reis, Fladenbrot und „fuul“, eine Art Bohnenbrei, tagein, tagaus. „Eier und Fleisch sind viel zu teuer – 400 Riyal für ein Kilo Hammel, wer kann das bezahlen!“, schimpft Omar.

Omar ist nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait 1990 unfreiwillig aus Saudi-Arabien zurückgekehrt. Mit drei Töchtern, fünf Söhnen und seiner Frau haust er in einer Holzhütte hinter Sichtblenden aus Blech am Stadtrand der Hafenstadt Hodeida. 30 Jahre lang hat der Installateur in Mekka gearbeitet. Dann sah er sich eingereiht in eine kilometerlange Autokolonne, in der Tausende Menschen mit ihrem tragbaren Hab und Gut die Grenze überschritten.

Das Leben, das er in Saudi-Arabien zurücklassen mußte, vermißt er bis heute: „Lebensmittel waren billig, die Gesundheitsversorgung gut und der Schulbesuch meiner Kinder garantiert.“ Heute kann er kaum die 200 Riyal (rund 1,5 US- Dollar) entbehren, die ihn die Anmeldung seiner jüngsten Tochter an der Grundschule kosten wird.

Mit dem Rückkehrerstrom entstanden rund um Hodeida sowie im Landesinnern und nahe der saudischen Grenze Auffangcamps. Internationale Organisationen und die jemenitische Regierung versorgten die Vertriebenen mit Wasser, Lebensmitteln und Medizin. Hilfsgelder in Höhe von rund 60 Millionen US-Dollar, die Ende 1991 unter anderem vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und der Weltbank zur Verfügung gestellt wurden, sollten die Misere lindern helfen. Doch das meiste Geld floß in andere Kanäle.

Zusammen mit Landflüchtigen, die in den jemenitischen Städten auf Arbeit und Wohlstand hoffen, haben die moghtaribeen die Einwohnerzahl Hodeidas von 150.000 Ende der 80er Jahre auf inzwischen über 320.000 ansteigen lassen. Längst haben sich die Camps zu Siedlungen gewandelt. Die Zelte sind durch Konstruktionen aus Holz, Wellblech, getrockneten Palmwedeln oder Plastikplanen ersetzt; manch ein Rückkehrer hat es bis zu einem kleinen Steinhaus gebracht. Wie ein Gürtel liegen diese Siedlungen um die Stadt, teils in Sichtweite feudaler Villen. Eine geregelte Stromversorgung gibt es nicht. Wasser entnehmen die Menschen aus öffentlichen Brunnen. Allein in den Vierteln Rabassa, Zaid, Salakhana und – Ironie des Schicksals – Saddam leben heute zwischen 70.000 und 90.000 ehemaliger Auslandsjemeniten.

Arbeit ist knapp in Hodeida, wie überall im Jemen. Morgen für Morgen zieht deshalb eine Prozession Frauen und Kinder aus den Rückkehrervierteln in der Stadt von Geschäft zu Geschäft, um sich ein bißchen Geld zusammenzubetteln. Ihre Männer, die in Saudi- Arabien als Bauarbeiter, Fahrer oder bei der Ölförderung gutes Geld gemacht haben, verdingen sich als Tagelöhner im Hafen oder helfen beim Gießen von Betonsteinen.

„Die meisten der hier lebenden Menschen sind ohne festes Einkommen. Ihre Perspektiven sind sehr schlecht“, sagt die niederländische Anthropologin Marina de Regt. Seit fünf Jahren arbeitet die 35jährige in Hodeida und hat im Auftrag der niederländischen Regierung geholfen, 13 Gesundheitszentren in den in den Rückkehrersiedlungen aufzubauen.

„Weil es keine Müllentsorgung in den Vierteln gibt, ist mangelnde Hygiene eine häufige Krankheitsursache“, so de Regt. Das schweizerische Rote Kreuz unterstützt deshalb seit einigen Wochen eine Handvoll Männer, die den Abfallbergen im Stadtteil Rabassa früh morgens mit Besen und Schubkarre zu Leibe rückt. Das funktioniert prima – jedoch nur bis zur Grenze des Armenviertels. Die Stadt Hodeida sorgt dort nicht für den Abtransport des Mülls. Deshalb weht ihn der Wind wieder dahin zurück, wo er hergekommen ist.

Wem der Grund und Boden gehört, auf dem sich die moghtaribeen niedergelassen haben, ist unklar. Einerseits will die Stadt Eigentümer sein. Doch auch verschiedene Stämme der Region melden Ansprüche an. „Es kommt immer wieder vor, daß Männer Land verkaufen, das ihnen gar nicht gehört“, weiß Marina de Regt. Hin und wieder wird die ein oder andere Hütte denn auch von Schlägertrupps niedergerissen.

Zwischen staatlichen Sicherheitskräften und moghtaribeen hat es in der Vergangenheit bisweilen Ärger gegeben, wenn Rückkehrer ihre Hütte durch ein Steinhaus ersetzen wollten. Das widersprach der staatlichen Weisung, daß die Behausungen vorübergehenden Charakter behalten sollten. Inzwischen hat sich das geändert. Mehr und mehr respektieren die Regierenden die „normative Kraft des Faktischen“, so de Regt.

Um Einfluß und Kontrolle auf die Viertelbewohner ausüben zu können, ernennt die Stadtverwaltung in jeder Rückkehrersiedlung einen Aqel, eine Art Bürgermeister. Zu ihm kommen die Menschen, um Nachbarschaftsstreits schlichten oder Briefe an Behörden schreiben zu lassen oder wenn sie ein kleines Geschäft gründen wollen. „Mit dem Aqel muß man sich gut stellen, denn er verfügt über Verbindungen, die dir nützen oder schaden können“, weiß Omar. Weil Macht auch verführt, genießen viele der Aqels einen schlechten Ruf. Nicht selten nutzen sie nämlich ihre Stellung, um in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Die jemenitische Regierung hofft seit Jahren darauf, daß sich das Problem mit den Zwangsrückkehrern von allein löst. „Schließlich haben sich die meisten inzwischen wieder in die Gesellschaft eingegliedert“, so ein Beamter im staatlichen Büro für Einwanderungsfragen in der Hauptstadt Sanaa. Wie viele es landesweit nicht geschafft haben, darüber gibt es keine verläßlichen Zahlen. Vielleicht 200.000, vielleicht 250.000. Gegenüber deren Zukunft sind die Bürokraten ratlos. Sie geben unumwunden zu, daß es kein Programm gebe, mit dem ihnen geholfen werden könne. „Zumindest keines, daß umsetzbar ist“, so der Beamte. Er selbst sei zwar für Investitionen zuständig, mit denen das Leben der Exauslandsjemeniten verbessert werden solle. Doch „leider“, fährt er fort, „haben wir kein Geld, das wir investieren könnten“.

Obwohl die jährliche Inflationsrate mit Hilfe staatlicher Reformen von über 100 auf rund 45 Prozent gesenkt werden konnte, steckt Jemens Wirtschaft in einer schweren Krise. Die Staatsverschuldung ist immens, die Lebensmittelpreise hoch. Wasser und Energie sind knapp. Sollte sich die wirtschaftliche Situation irgendwann zum Besseren wenden – woran derzeit kaum jemand im Land glaubt –, werden die Zwangsrückkehrer wohl die letzten sein, die davon profitieren. Denn viele von ihnen sind afrikanischen Ursprungs, Nachfahren von Sklaven. Vielen Jemeniten gelten sie als Bürger dritter Klasse. Ihnen wird unterstellt, daß sie am liebsten in Dreck und Armut lebten. „Sie sind ganz anders als wir. Sie wollen sich nicht helfen lassen“, heißt es im Büro für Einwanderungsangelegenheiten.

Eine Organisation der Zwangsrückkehrer, durch die sie ihre Interessen gegenüber offiziellen Stellen zur Geltung bringen könnten, gibt es bis heute nicht. Solidarität beschränkt sich auf ein Mindestmaß im Alltag. „Halt' die Tür zu, dann bläst dir auch der Wind nicht ins Haus“, rät der einäugige Omar. Jeder einzelne schlägt sich irgendwie durch, wie Gasmi Ahmed Mahub al-Gunaid zum Beispiel.

Dem korpulenten Mann mit dem grauen Kinnbart ist es gelungen, ein kleines Geschäft aufzumachen. In einem Holzverschlag verkauft er Kekse, Limonade und Zigaretten. Nebenbei lädt er mit Hilfe eines Generators Autobatterien auf. Wenn er sonst irgendwie Geld machen kann, dann macht er es. Wie? Auf die Frage lächelt Gasmi Ahmed Mahub al-Gunaid verschmitzt: „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich.“ Mit dem Geld, das reinkommt, finanziert der 50jährige den schulpflichtigen seiner 14 Söhne und Töchter die Ausbildung; allein für den Transport zu den Schulen zahlt er täglich mehr als 100 Riyal.

Wie wichtig Bildung ist, das hat die 22jährige Aischa al-Rabia erfahren. Während im Jemen nur rund ein Viertel aller Frauen lesen und schreiben kann, besuchte die in Saudi-Arabien geborene junge Frau dort die Schule. Heute arbeitet sie als Arabischlehrerin in der Rückkehrersiedlung Salakhana und verdient umgerechnet rund 20 US-Dollar im Monat. Mit dem Geld unterstützt sie ihre Eltern und elf Geschwister. „Es ist nicht viel, aber immerhin“, freut sie sich.

Aischas ältester Bruder ist kürzlich nach Saudi-Arabien zurückgekehrt, ins Baugewerbe. Je mehr sich die Beziehungen zwischen Jemen und dem Königreich normalisieren, um so öfter erhalten Jemeniten – zumindest Fachkräfte – auch wieder eine Arbeitsgenehmigung für das Nachbarland. Mehr als 200.000 Jemeniten sollen inzwischen wieder dort leben. Ungelernten Arbeitern bleibt diese Chance meist versagt. „Die meisten jungen Männern würden den Jemen lieber heute als morgen verlassen“, glaubt Omar. Das habe nichts mit mangelnder Liebe zum Land zu tun, die Lebensumstände seien einfach zu hart.

Im kommenden April wird im Jemen ein neues Parlament gewählt. Die moghtaribeen bilden im Bezirk Hodeida ein bedeutendes Wählerpotential. Ob sie ihre Stimmen abgeben werden? „Die Politiker machen uns Versprechungen“, sagt Omar. „Und dann?“ Als suche er dort die Antwort, schaut der schmächtige Mann in den Himmel. Der hat sich endgültig tiefschwarz zugezogen. Ein böiger Wind trägt Plastiktüten, Sand und auch ein paar Regentropfen vor sich her. Omars älteste Tochter ist mit einem Saudi verheiratet und durfte im Königreich bleiben. Demnächst wird sie wieder Geld schicken. Ihr Vater würde gern ein Dach auf die vier Steinwände setzen, die er neben seiner Hütte hochgezogen hat.

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