■ Weißrußland: Kampf zwischen Präsident und Parlament
: Auf dem Weg zur Diktatur

Kaum war in Weißrußland Entwarnung gegeben und eine Entspannung der politischen Lage herbeigeredet worden, da wurden in Minsk schon wieder die Messer gewetzt. Der Kompromiß zwischen Präsident und Parlament über die Volksabstimmung war in Windeseile Makulatur. Dabei war der russische Vermittlungsversuch, der wohl eher durch die Angst Moskaus vor einem Unruheherd an der Westflanke, denn von der Sorge über eine entstehende Diktatur im benachbarten slawischen Bruderland motiviert war, von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Denn die Kluft zwischen dem Parlament und Weißrußlands Präsidenten Alexander Lukaschenko, der unter Umgehung aller geltenden Gesetze nun auch noch die letzten Institutionen ausschalten will, ist unüberbrückbar geworden. Seit mehreren Monaten schon erschüttert eine Krise das Land, Kritiker werden mundtot gemacht und die wenigen noch unabhängigen Medien unter Druck gesetzt.

Bereits im August formierte sich eine breite Opposition gegen Lukaschenko und seinen Verfassungsentwurf, und der Präsident des Parlaments, Semon Schareztki, warnte nachdrücklich vor einer Diktatur. Zwei Mitglieder der weißrussischen nationalen Volksfront suchten in den USA um politisches Asyl nach, einige inhaftierte Oppositionelle traten in den Hungerstreik. Bei Massenprotesten gegen den Staatschef ließ Lukaschenko regelmäßig Demonstranten von Sicherheitskräften zusammenschlagen.

Doch das interessierte im Ausland leider niemanden. Die internationale Staatengemeinschaft schwieg und verlegte sich zunächst mal aufs Abwarten. Erst in der vergangenen Woche bequemten sich Rußland, aber auch Polen, Litauen und die Ukraine zu einer kritischen Stellungnahme. Und dem Europarat fiel, rechtzeitig zur Abstimmung, sogar auf, daß der Entwurf des weißrussischen Diktators nicht einmal den minimalen demokratischen Standards genügt.

Diese eher halbherzigen „Interventionen“ kommen zu spät. Viel zu spät, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Am Wochenende kündigte Lukaschenko an, er werde Mittel und Wege finden, um das Referendum bindend zu machen. Mit den bewährten Methoden, versteht sich. Und diese werden nach der Abstimmung, die nach dem Abschuß des Chefs der Wahlkommission sowieso nur noch Formsache ist, auch weiter an der Tagesordnung sein. Jedenfalls solange Lukaschenko Präsident ist. Barbara Oertel