Angeblicher RAF-Attentäter freigelassen

■ Christoph Seidler, der sich am Freitag den Behörden gestellt hatte, durfte nach stundenlangen Vernehmungen wieder nach Hause. Der Haftrichter konnte einen dringenden Tatverdacht nicht erkennen

Berlin (taz) – Auch nach der Aufhebung des Haftbefehles ermittelt die Karlsruher Bundesanwaltschaft gegen den 38jährigen Christoph Seidler wegen des Mordes an dem Bankier Alfred Herrhausen. Er sei weiter verdächtig, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft Eva Schübel.

Seidler, der eine Beteiligung an dem RAF-Attentat auf Herrhausen am 30. November 1989 vehement bestreitet, hatte sich am Freitag morgen in Karlsruhe den Ermittlungsbehörden freiwillig gestellt. Nach einer rund zehnstündigen Vernehmung hob am Abend der Ermittlungsrichter beim BGH den Haftbefehl auf, er verneinte einen dringenden Tatverdacht. Seidlers Anwalt Michael Moos erklärte anschließend, der Richter habe sich ein Bild über den 38jährigen machen können: „Der Haftrichter hat ihm geglaubt.“

Ein wenig rätselhaft bleibt das Verhalten der Bundesanwaltschaft. Am Ende der stundenlangen Vernehmungen hatte der Vertreter der Anklagebehörde zunächst für die Aufrechterhaltung des Haftbefehls plädiert, schließlich aber auf eine sofortige Beschwerde gegen die Freilassung verzichtet.

In ihrem Plädoyer stützten sich die Ankläger vor allem auf ein „Ergänzungsgutachten“ des Kölner Psychiaters Udo Undeutsch über den dubiosen Kronzeugen Siegfried Nonne, das erst am Vormittag per Fax eingetroffen war.

Darin hatte der inzwischen emeritierte Professor seine frühere Expertise aus dem Jahr 1992 bekräftigt: Nonnes Angaben, die Seidler schwer belasten, seien in ihren Kernaussagen glaubwürdig. Der psychisch labile Nonne hatte unter anderem behauptet, gemeinsam mit Seidler und anderen das Attentat vorbereitet zu haben. Undeutsch bezweifelt, daß ein Mann wie Nonne in der Lage sei, sich eine solche Geschichte auszudenken. Daran ändere auch nichts, daß inzwischen eine Reihe von Zeugen versichern, Seidler habe sich im fraglichen Zeitraum ununterbrochen im Libanon aufgehalten.

Der Ermittlungsrichter mochte dieser Auffassung nicht folgen. Seidler habe die vergangenen zwölf Jahre seines Lebens in sich schlüssig erläutert, begründete er die Aufhebung des Haftbefehls. Der Zeuge Nonne habe sich dagegen mehrfach in zentralen Aussagen als unglaubwürdig erwiesen.

Nonne selbst, der derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus stationär behandelt wird, hatte am vergangenen Mittwoch anläßlich einer Vernehmung beim Bundesgerichtshofs die Aussage auf Anraten seines Anwalts verweigert. Er wolle seine belastenden Aussagen weder bestätigen noch widerrufen.

Die von Seidler und seinem Anwalt erwartete sofortige Beschwerde der Bundesanwaltschaft gegen die Aufhebung des Haftbefehls hätte aufschiebende Wirkung gehabt.

Seidler wäre bis zu einer Entscheidung des Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Haft genommen worden. Angeblich wartete am Freitag in Karlsruhe bereits das „Begleitkommando“ des Bundeskriminalamts, das Chrstoph Seidler in die Justizvollzugsanstlt Frankfurt-Preungesheim transportieren sollte.

Während der Ermittlungsrichter seinen Beschluß formulierte, zogen sich auch die Bundesanwälte zur Beratung zurück. Im Verlauf dieser Sitzung muß die Entscheidung gefallen sein, auf eine sofortige Beschwerde zu verzichten.

Gegenüber der taz sagte Seidler, er sei vor und während der Vernehmung „zivil und anständig“ behandelt worden. Es bleibe jetzt abzuwarten, wie die Anklagebehörde sich weiter verhalte. gero/wg