Alle Diktatur geht vom Staatschef aus

■ Mit dem gestrigen Referendum steuert Weißrußlands Präsident Alexander Lukaschenko alle Macht im Staat an. Kompromisse mit der Opposition lehnt er ab. Auch ein letzter Vermittlungsversuch Rußlands war gescheitert

Moskau (taz) – Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat sich gestern siegesgewiß über den Ausgang des umstrittenen Referendums über eine neue Verfassung geäußert. Angesichts der bis zum Nachmittag niedrigen Wahlbeteiligung erwarteten aber Beobachter in Minsk einen knappen Ausgang der Abstimmung. Bis 16.00 Uhr Ortszeit (15.00 Uhr MEZ) hatten nach Angaben der zentralen Wahlkommission einschließlich der Briefwähler 42,76 Prozent der Abstimmungsberechtigten ihre Stimme abgegeben. Damit die neue Verfassung als angenommen gilt, müssen ihr aber 50 Prozent aller Wahlberechtigten zugestimmt haben. Nach dem Entwurf Lukaschenkos soll der Präsident künftig statt fünf sieben Jahre amtieren. Außerdem wäre er berechtigt, die Hälfte der Verfassungsrichter und der Mitglieder der Wahlkommission zu berufen.

Schon seit Monaten streitet Lukaschenko mit dem weißrussischen Parlament über das Verfassungsreferendum. In der vergangenen Woche hatte sich die Lage zugespitzt. Noch am vergangenen Donnerstag hatte Rußlands Premierminister Wiktor Tschernomyrdin in einer Feuerwehraktion die Konfliktparteien zum Einlenken bewegen können. Doch platzten bereits am späten Freitagabend die verfrühten Hoffnungen auf einen Vernunftfrieden. Ein Teil der Abgeordneten des Obersten Sowjets, der Minsker Legislative, verweigerte ihrem Vorsitzenden Semjon Scharetzky die Gefolgschaft und lehnte den von Rußland vorgeschlagenen Kompromiß ab, der dem Referendum nur beratenden Charakter beimaß.

Zudem sollte eine paritätisch besetzte Verfassunggebende Versammlung eingesetzt werden. Im Gegenzug sollte das Parlament das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten, das Anfang der Woche eingeleitet worden war, einstellen. Auch der Vermittlungsversuch hätte die Krise im Lande voraussichtlich nur vorübergehend entschärft.

Mediator Tschernomyrdin äußerte „tiefstes Bedauern“. Die Ereignisse zeigten, „daß einer Gruppe von Abgeordneten des Obersten Sowjets ein Mindestmaß von Verantwortung für das Schicksal des Landes und der Menschen fehlt“. Allerdings sparte der Premier auch nicht mit Kritik gegenüber Lukaschenko. Der hatte sich zwar zunächst an die Vereinbarungen gehalten, die Widerspenstigkeit der Abgeordneten innerlich indes begrüßt. „Die Exekutive in Weißrußland ließ es an Entschlußkraft und Hartnäckigkeit fehlen, um die Vereinbarung in die Realität umzusetzen“, so Tschernomyrdin in einer ersten Stellungnahme.

Rußland hatte schon während der Verhandlungen sanften Zwang eingesetzt, um Lukaschenko zum Einlenken zu bewegen. Das Naturell des Autokraten von Minsk läßt Kompromisse gewöhnlich nicht zu. Vermutungen, Abgeordnete der Präsidentenfraktion hätten den Kompromiß auch mit verhindert, waren daher nicht unbedingt aus der Luft gegriffen.

Nun hat die Opposition Lukaschenko das Spiel leichtgemacht. Noch am Sonnabend verkündete der Präsident, er werde das Referendum nach den ursprünglich von ihm erdachten Regeln durchführen. „Ich werde alle Mittel und Wege finden, um das Referendum bindend zu machen“, sagte Lukaschenko. Entsprechende Schritte würden folgen.

Sollte er bei der Abstimmung, die der Abgeordnete Stanislaw Schuschkewitsch als Farce bezeichnet hatte, die erforderliche Mehrheit erzielen, muß das Parlament damit rechnen, aufgelöst zu werden. Auch die Auflösung des Verfassungsgerichtshofs, dessen Entscheidungen der Präsident in der Vergangenheit 18mal ignoriert hat, kündigte er bereits vor wenigen Tagen an. Klaus-Helge Donath

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