Viel Musik im Tod

■ Die „projektgruppe neue musik“ suchte nach Sterbensmetaphern und fand viele Variationen

„Am eigenen Leib“, „Eigenzeit“, „Präsenz des Schweigens“: Die Themen, die sich die „projektgruppe neue musik bremen“ für ihre alljährliche Tagung mit angeschlossenem Konzertprogramm aussucht, sind auf den ersten Blick alles andere als allgemein zugänglich. Doch in Fachkreisen hat sich die Gruppe aus MusikwissenschaftlerInnen und JournalistInnen längst einen überregional strahlenden Ruf erworben. Mit Hochspannung erwarteten die TeilnehmerInnen und freilich auch die InitiatorInnen deshalb die am Sonntag zu Ende gegangene 1996er Auflage zum Thema: „Das Ungedachte zu Umreißen - Todesmetaphern in der zeitgenössischen Musik“.

Schon der Auftakt der dreitägigen Veranstaltung war ungewöhnlich. Zur Einstimmung auf das Treffen wurde zunächst die Bildende Kunst im Neuen Museum Weserburg nach deren Umgang mit dem Todesthema befragt. Noch nie zuvor gelang der engagierten Projektgruppe eine solch beeindruckende Kooperation mit anderen Bremer Musikinstitutionen. Die gipfelte im Abschlußkonzert in der St.-Ansgarii-Kirche, bei dem unter der Leitung Wolfgang Mielkes Kirchenmusiker und die Kammerphilharmonie Bremen zusammenwirkten und unter anderem Mozarts „Maurerische Trauermusik“ mit Heinz Holligers darauf fußendem „Ostinato funebre“ oder den Bach-Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ mit den „Eisblumen“ des 1939 geborenen Schweizer Komponisten konfrontierten.

Diese Gegeneinandersetzung von zeitgenössischer Tonsprache und musikalischem Erbe war einer der zentralen Aspekte der Tagung. Im erneut überaus informativen und kenntnisreich geschriebenen Festival-Reader findet sich die Grundthese, nach der sich ehemals allgemeingültige und in weiten Kreisen verständliche Todesmetaphern in der Musik aufgelöst haben. Die bürgerliche Gesellschaft tabuisierte den Tod. Und die künstlerische Moderne ließ mit den Stilen und musikalischen Möglichkeiten möglicherweise auch die Todesmetaphern erodieren. Eben das war in Vorträgen und in durchweg eindrucksvollen Konzerten genauer zu erkunden. Und so wurde gefragt, ob die alten Musikzeichen für den Tod - das klangliche Absterben, dunkle Klangfarben oder plötzliche Dissonanzen - vielleicht heute noch Bestand haben und weitergeführt werden oder ob sie in der Neuen Musik gebrochen und verschwunden sind.

Nach dem ersten Anhören gilt heute das Motto „anything goes“, doch dann wurden die Rückbezüge auf die musikalische Tradition durchaus deutlich. So thematisierte etwa der Komponist Klaus Huber in seinem 1989 für ein Streichtrio geschriebenen Werk „Des Dichters Pflug“ die Grenzen des musikalischen „Sterbens“: Der Klang nähert und entfernt sich, bis er schließlich ganz verschwindet. Das Mittel dunkle Klangfarbe wird dagegen von der Koreanerin Younghi Pagh-Pann eingesetzt: In „No-Ul“ (Sonnenuntergang) für drei Streicher instrumentiert sie mit Viola statt Violine und betont ein wiederkehrendes Seufzermotiv.

Mit der Tradition kaum vereinbar ist dagegen die Montage-Technik, in der die Musik von Einspielungen zeitgeschichtlicher Dokumente überwuchert wird. Auch Walter Schröder-Limmer bediente sich eines ähnlichen Verfahrens: In der 1974/76 komponierte „Todesfuge“ kombinierte er eine Lesung des gleichnamigen Gedichts von Paul Celan mit Hitlers Lieblingsmarsch „Badenweiler“. Technisch ganz dem 20. Jahrhundert verhaftet ist Iannis Xenakis: Er komponierte sein Stück „La Légende d'Eer“ für ein acht-kanaliges Tonband. Der Tod ist hier Teil einer hörsinnlichen Penetration.

Fazit: Es gibt ungezählte Spielarten von Todesmetaphern in der Neuen Musik, und die Mühe lohnt, sie zu entdecken. Rudi Carrelli