Rechts gegen rechts

Rückzug der Sozialisten verhinderte im französischen Dreux den Wahlsieg der Front National  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Nizza und Dreux – das sind knapp 1.000 Kilometer Entfernung, ein klimatischer Graben und ein gigantisches soziologisches Gefälle. Nizza, die sonnige Stadt am Mittelmeer, ist immer noch ein Fluchtpunkt betuchter Rentner. Sie ist stolz auf sich und verachtet Paris. Dreux, die graue normannische Stadt, war bis zu dem Fabrikensterben der siebziger Jahre eines der großen industriellen Zentren in der Umgebung der französischen Hauptstadt. Sie zog Arbeiter aus ganz Frankreich und den allen ehemaligen Kolonien an – und trägt heute schwer an der Last der Arbeitslosigkeit.

Am Sonntag mußten Franzosen, die sich für die Entwicklung des Rechtsextremismus in ihrem Land interessieren, abwechselnd auf die eine und auf die andere Stadt gucken. Nizza hielt ein denkwürdiges Referendum zu der Frage ab: Soll die Bettelei verboten bleiben? Dreux veranstaltete Neuwahlen des Bürgermeisters, bei denen die Bürger die magere Auswahl zwischen einem Rechten von der neogaullistischen RPR und einer Rechtsextremen von der Front National hatten. Letztlich erlitten die Rechtsextremen in beiden Städten eine Niederlage. Doch nur ganz knapp. Und nur dank des energischen Einsatzes von Linken.

In Nizza hatte Bürgermeister Jacques Peyrat mit seinem Referendum gegen die ärmsten Mitbürger eine Welle der Empörung ausgelöst. Unabhängige Organisationen und die vor Ort schwachen linken Oppositionsparteien liefen Sturm dagegen. In Paris verlangten Demokraten ein Verbot der Veranstaltung. Vergeblich. Peyrat – früher Politiker der Front National und seit vergangenem Sommer Neumitglied der von Präsident Jacques Chirac gegründeten neogaullistischen RPR – war stärker. Der neue Pate von Nizza setzte sich über alle Bedenken hinweg. Seine Pariser Parteiführung schwieg. „Eine lokale Angelegenheit“, war der weistgehende Kommentar, zu dem sich die RPR- Zentrale aufschwang.

Die Referendumsfrage von Nizza war zuvor von keinem anderen französischen Bürgermeister gestellt worden. Nicht einmal die rechtsextrem regierten Städte Toulon und Orange hatten so etwas gewagt. Allerdings ist die Politik der Vertreibung der Bettler aus den Innenstädten längst landesweit üblich. Seit zwei Sommern wird sie per Ukas von Touristenorten praktiziert, seien sie nun sozialistisch oder konservativ regiert.

In Dreux verfügt die Front National über ihre älteste kommunale Basis in Frankreich. Das ist so, seit ein RPR-Kandidat in den frühen achtziger Jahren seinen Bürgermeistersieg gemeinsam mit den Rechtsextremen erkämpft hat und ihnen – eine Premiere in der V. Republik – den Einzug ins Rathaus ermöglichte. Jene neue Salonfähigkeit gab der Front National Gelegenheit, Dreux zum Politiklabor auszubauen. Die von dem Bündnis zwischen Rechten und Rechtsextremen besiegte Linke verschwand auf den Zuschauerplätzen.

Erst als die Front National ein paar Jahre später allein – und gegen die RPR – kandidierte, waren die Linken wieder wichtig. Bei mehreren Urnengängen riefen Sozialisten und Kommunisten ihre Wähler schweren Herzens im zweiten – entscheidenden – Durchgang zur „republikanischen Disziplin“ auf, sprich zur Wahl des Neogaullisten. Am vergangenen Sonntag brachte der sozialistische Kandidat das nicht über sich. Aber immerhin zog er seine Kandidatur zurück und überließ den Wählern die Entscheidung.

In Nizza ist es Bürgerinitiativen und bemühten Einzelpersonen zu verdanken, daß nur 20 Prozent der Wähler an dem Referendum teilnahmen. Daß Bürgermeister Peyrat die 61 Prozent Stimmen für die Bettlervertreibung trotzdem als Sieg und die hohe Wahlenthaltung als „normal“ verbucht, gehört zur üblichen Politikfolklore.

In Dreux wählten 60 Prozent der Bürger den Konservativen Gérard Hamel, die Kandidatin der Nationalen Front, Marie-France Stirbois. Die hohe Enthaltung von 37 Prozent ist ein Zeichen dafür, daß viele linke Wähler aufgegeben haben.

Formal bleibt in den beiden Städten Nizza und Dreux alles beim alten. Die RPR regiert.