Der blaue Engel wird gerupft

■ Schöneberg will seine Filmdiva Marlene Dietrich ehren. Wie, darüber streiten sich nicht nur die Parteien, sondern auch die Bürger des Bezirks. Drei Varianten denkbar

Soll es eine Straße sein, ein Bahnhofsvorplatz oder gar ein ganzer Bahnhof? Noch ist nicht klar, in welcher Form der Bezirk Schöneberg an Marlene Dietrich erinnern will – auch nicht nach der gestrigen Sitzung des Tiefbauausschusses, der eigentlich eine Beschlußempfehlung an die BVV abgeben sollte. Nach kurzer Diskussion wurde das Thema auf Ende Januar vertagt.

Seit Wochen ist im Bezirk eine Schlammschlacht um den Namen Marlene Dietrich im Gange. Die SPD will den Tempelhofer Weg nach Marlene benennen, die CDU den Vorplatz des Bahnhofs Papestraße, die Fraktion der Grünen den ganzen Bahnhof Papestraße. Wütende Schöneberger wollen von einer Marlene-Dietrich-Ehrung rein gar nichts wissen. Von einer Vaterlandsverräterin ist die Rede und davon, daß die Dietrich Deutschland 1930 aus kommerziellen Gründen verlassen habe. „Auf dieses Niveau wollen wir uns nicht herablassen“, sagt Hanns Leske, SPD-Fraktionsvorsitzender. Unstrittig sei, daß der Bezirk an die am 27. Januar 1901 in Schöneberg geborene Dietrich erinnern wolle. Strittig sei nur die Form.

„Ich habe nichts gegen Marlene Dietrich“, sagt Theo Assfalg, Geschäftsführer der Chemikor Wasseraufbereitung. Den Tempelhofer Weg, Sitz seiner Firma, umzubenennen, damit sei er nicht einverstanden. 50.000 Mark würde die Adreßänderung kosten. 23 Unterschriften gegen die Umbennung hat er gesammelt, „alle ansässigen Gewerbetreibenden haben unterschrieben“.

Fred Ostrowski hat 4.800 Unterschriften gesammelt – für eine Marlene-Dietrich-Straße. Seit 1991 kämpft er darum, „seitdem der Senat gesagt hat, er wolle in Berlin eine Straße nach der Diva benennen“. Daß sich bis heute nichts getan habe, zeige, wie in Deutschland mit unbequemen Menschen umgegangen werde. Die nun in die Diskussion gebrachte Umbenennung des Tempelhofer Wegs sei für ihn ein Ablenkungsmanöver. Schließlich handelt es sich um eine Straße in einem Gewerbegebiet. Werner Sudendorf, Leiter der Marlene-Dietrich-Collection, sagt: „Wenn die Straße in fünf Jahren noch immer ein Schandfleck ist, wäre es besser, von einer Umbenennung abzusehen.“ Bezirksplanungen gehen davon aus, daß sich der heute noch trostlose Tempelhofer Weg einmal zu einer populären Straße entwickeln wird. Jens Rübsam