„Ignoriert das Gesetz, es vergiftet das Klima“

■ Die gekürzte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erspart mittleren und kleinen Unternehmen zwar keine Kosten, verhärtet aber die Fronten in der Republik

Krankwerden gehört zum Leben dazu. Und deswegen zahlt Gottfried Härle kranken Bierbrauern den Lohn in voller Höhe. Der Unternehmer aus dem Allgäu weigert sich, für seine 35 Mitarbeiter „ein dilettantisches Gesetz blind zu übernehmen“. Die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent ist gemeint. Gottfried Härle ist nicht irgendwer. Der 42jährige sitzt dem Verband „Unternehmensgrün“ vor, einem Zusammenschluß von 180 Firmen, die sich ökologisches Wirtschaften zum Ziel gesetzt haben. Vorschlag des Vorsitzenden an seine Kollegen: „Ignoriert das Gesetz, es vergiftet das Klima.“

Kaum eine andere gesetzliche Änderung hat die Fronten in der Bundesrepublik so verhärtet wie die gekürzte Lohnfortzahlung. Der Kampf darum wird nicht in den Großbetrieben alleine ausgefochten, wie die Aktionen der IG Metall in den vergangenen Wochen glauben machen könnten. Auch in den kleinen und mittleren Betrieben rumort es; immerhin arbeiten mehr als acht Millionen Menschen in Betrieben mit einer Größe bis zu 500 Mitarbeitern.

Vergangene Woche kritisierte die Vereinigung mittelständischer Unternehmer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Die Metall-Spitzenvertreter verhielten sich „unklug, unsensibel und realitätsfremd“, sagte der Vorsitzende des Initiativkreises, Peter Mank. In den mittelständischen Unternehmen sei das Thema Lohnfortzahlung „von der Kostenbelastung überhaupt kein Thema für die Auseinandersetzung mit den Mitarbeitern“. Beispielsweise in der Holz- und Kunstoffindustrie, im Bezirk Ostwestfalen-Lippe. Dort gingen die Tarifparteien vergangene Woche verbittert auseinander, weil sie zum strittigen Punkt keine Einigung fanden. Aber auch im dortigen Arbeitgeberverband hat sich der Spaltpilz eingenistet.

Einer der größten Büromöbelhersteller, die Firma Werkhahn in Bad Münder, exerziert seit Jahren vor, was längst hätte Schule machen können. In den vergangenen sieben Jahren hat es die Firmenleitung in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat geschafft, den Krankenstand von zwölf Prozent auf durchschnittlich 3,3 Prozent zu senken. Das Zauberwort bei Werkhahn heißt „Gesundheitsforum“. Zunächst wurde eine Bestandsaufnahme der im Betrieb vorkommenden Krankheiten gemacht; die AOK und die Techniker-Krankenkasse stellten die anonymisierten Krankenakten der Mitarbeiter zur Verfügung. „Wir sahen, das viele Produktionsmitarbeiter erstaunlich oft über Rachen- und Erkältungskrankheiten klagten“, sagt Horst Knigge, Betriebsratsvorsitzender.

Ursache für die Schleimhautentzündungen waren oftmals Lösungsmittel, die verwandt wurden. Und wer häufig in Zugluft arbeitet, den erwischt eben schneller eine Grippe. Der Betrieb investierte zwei Millionen Mark in arbeitsverbessernde Maßnahmen. In vertraulichen Gesprächen erkundete Knigge die Stimmung im Betrieb und erfuhr, daß mancher miesgelaunte Chef nicht nur das Arbeitsklima verpestet, sondern auch den Krankenstand in die Höhe treibt. Abteilungsleiter, die ihre Mitarbeiter schlecht behandelten, etwa Anweisungen ohne Begründungen erteilten oder nicht grüßten, mußten sich im Fach Kommunikation nachschulen lassen.

Das Ergebnis der Bemühungen zahlt sich aus: „Jede Mark, die wir investiert haben, fließt wieder ins Unternehmen zurück. Zufriedene Arbeitnehmer werden seltener krank“, resümiert Knigge. „Und wer krank ist, der soll nicht durch gekürzten Lohn dafür bestraft werden.“ Der niedrige Krankenstand bei Werkhahn gibt Knigge recht: Kürzlich wurde das Konzept „Gesundheitsforum“ von den Betriebskrankenkassen prämiert.

Doch Gespräche über die Ursache hoher Krankenstände sind im Arbeitgeberlager verpönt. „Die wollen das Lohnfortzahlungsgesetz zur Disziplinierung der Mitarbeiter einsetzen und vergessen, daß der Umgang mit Kranken auch zeigt, welches Bild vom Menschen ein Unternehmer hat“, meint Knigge. Egal wie die Verhandlungen in seinem Tarifbezirk ausfallen werden, bei Werkhahn wird auch künftig voller Lohn bei Krankheit gezahlt, so haben es Betriebsrat und Firmenleitung bereits miteinander vereinbart. Notfalls würde der Betriebsrat auch dem Austritt des Betriebes aus dem Arbeitgeberverband zustimmen, um eine betriebsinterne Regelung abschließen zu können.

Manch einem Hardliner im mittelständischen Arbeitgeberlager kommt jedoch das neue Gesetz wie gerufen. Es wird sogar als Bonussystem eingesetzt. „Verdienten Mitarbeitern zahlen wir bei Krankheit 100 Prozent, alle anderen kriegen 80 Prozent.“ Peter Zetzsche, Personalchef bei Zapf-Umzüge in Berlin, gibt sich rigoros. Mehr als 200 Männer schleppen Kisten für einen Eigentümer und fürchten den Bandscheibenvorfall. Der Personalchef aber frohlockt, seine Härte preist er als Erfolg: „Im Oktober hatten wir einen Krankenstand von unter einem Prozent.“ Vor sieben Jahren brüstete sich das Unternehmen noch damit, voll im Besitz der Belegschaft zu sein.

Heute liegt Zetzsche voll auf der Linie des erzkonservativen Bundesverbands junger Unternehmer mit seinen 3.000 Mitgliedern. Dessen Vorsitzender Franz Mainz hält das Thema Lohnfortzahlung auch für einen „Marketing-Hit der Gewerkschaften“. Die Eskalation, auch in kleinen Betrieben, scheint unvermeidlich. Annette Rogalla