Der Scharlach des Häuserkampfes

■ Ein Ave Maria muß keine Revolutionsbremse sein: Sergio Cabreras inszeniert in Die Strategie der Schnecke einen rührenden Klassenkampf mit der Einfachheit einer Telenovela

Deprimiert? Die Sonne versteckt sich hinter Winterwolken, die Linke tut Nämliches hinter den Wortwolken „Subkultur“ und „Differenz“, und niemand wagt mehr an die Zeiten des Häuserkampfes zu erinnern. Niemand? Mitnichten. Der Kolumbianer Sergio Cabrera drehte einen ganzen Film zur Entmietung eines Altbaus in Bogota.

In Die Strategie der Schnecke sind die Fronten klar verteilt. Mercedes fahrende, Handies haltende Miethaie planen, das blühende Soziotop der „Casa Uribe“ für eine Handvoll Pesos zu zerstören. Die Bewohnerinnen und Bewohner aber finden in der Gefahr über alle Differenzen hinweg zusammen und verwandeln sich von einer Hausgemeinschaft in ein Kollektiv. Dabei geht es nicht nur darum, ein Dach über dem Kopf zu behalten, sondern, wie der Erzähler uns wissen läßt, um die „Würde des Menschen“ und sein Recht, sich nicht treten lassen zu müssen. Das hört sich alles schrecklich ernsthaft an, wird aber nicht so dargeboten. Im Gegenteil: Lustvoll werden die Bösen als in jeder Hinsicht widerlich – blättern Anwälte beim Telefonieren wirklich in Pornoheften? – oder einfach nur blöd beschrieben. Die Polizei ist zwar zum Häuserstürmen ganz brauchbar, kann aber ansonsten noch nicht einmal ihre Funkgeräte bedienen. Mit altem Lehrstückcharme werden auch die Guten als Typen gezeichnet. Der alte Anarchist bastelt Molotowcocktails und sieht aus wie Baku-nin. So nonchalant wie die Figuren werden auch die Probleme innerhalb des Kollektivs behandelt. Alles geht immer ein bißchen einfach. Darf man als guter Kommunist sich zum Gebet hinknien? Aber ja, solange es nur der Sache dient.

Vielleicht rührt diese Einfachheit auch aus dem Rückbezug auf das spezifisch südamerikanische Genre der Telenovela her. Einzelne Subplots – zum Beispiel der Priester, der sich in den Transvestiten/Strichjungen verliebt – könnten, geringfügig modifiziert, ohne weiteres in Die Sklavin Isaura übernommen werden. Wie dem auch sei: Die Strategie der Schnecke war in Kolumbien ein großer Hit – beliebter noch als Jurassic Park.

Das mag auch daran liegen, daß der Häuserkampf eine der konkretesten und zugleich allgemeinsten Erfahrungen von Klassenkampf ist, die das urbane Leben bietet. Was den Reiz dieses Filmes ausmacht, ist eben, daß hier unter kapitalistischen Bedingungen nicht nur überlebt wird, sondern daß die Entrechteten vom Rückzug zum Angriff übergehen. Selbstverständlich hat der junge Hardcore-Marxist recht, wenn er die Taktik der Zurückschlagenden als „kleinbürgerlich mit anarchistischen Tendenzen“ beschreibt. Weil aber das Anarchistische als Kinderkrankheit des Kommunismus ja durchaus in diese Zeit des Schnupfens und Hustens paßt, ist dieser Film genau das Richtige für trübe Herbstabende.

Matthias Anton

3001, Elbe-Kino