Entlässt Kirche ihre Kinder?

■ Kirchentag: Streit über Personalpolitik / Bleibt Kirche „zuverlässige Arbeitgeberin“

Auch nach mehrstündiger Debatte steht die Heilige Kuh der Bremischen Evangelischen Kirche noch zum Schlachten an. Sie heißt „zuverlässige Arbeitgeberin“ – und gilt der moralischen Institution eigentlich als heilig. Dies gilt vor allem dann, wenn andere betroffen sind. Bei größeren Entlassungswellen in Industriebetrieben etwa mahnen Geistliche den „Schutz der Schwächeren“ regelmäßig an. Jetzt muß die Bremische Evangelische Kirche aber selbst kündigen. Von rund 1.800 Arbeitsplätzen soll bis Ende 1998 jeder vierte wegfallen und schon im kommenden Jahr sprengen beim jetzigen Personalstand rund 10 Millionen Mark das Budget, das ohnehin mit 21 Millionen Mark aus Rücklagen genährt wird. Da drängen Fragen: Was tun mit kirchlichen Arbeitslosen? Wie mit Entlassenen umgehen? Und, falls doch eine Stelle durch Ruhestand oder Babypause frei wird: Wer soll sie bekommen?

Um Antworten auf diese brisanten und drängenden Fragen rangen gestern im Vegesacker Bürgerhaus rund 140 Kirchentagsdelegierte aus 69 Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen. Bis Redaktionschluß fanden sie darüber keinen Konsens. Stattdessen fiel es den automen Bremer Gemeinden schwer, einander im Sinne möglichst weitgehender Arbeitsplatzsicherung für gegenwärtig Beschäftigte das Ja-Wort zu geben. Sie zierten sich wie die Karrikatur der jungfräulichen Braut: Werden wir zusammen passen?, fragten Delegierte und dachten dabei etwa an die Erzieherin, für die es in der liberalen Heimatgemeinde keine Arbeit mehr gibt. Kann sie sich ins Team der konservativen Nachbargemeinde fügen? Und: Ist es sinnvoll, langfristige Bündnisse überhaupt zu schließen? Sollte nicht, statt der altgedienten Kraft, immer die beste den Zuschlag auf die freiwerdende Stelle bekommen? Wäre das nicht im Sinn des kirchlichen Berufsnachwuchses sogar Pflicht?

Auslöser der kontroversen Debatten war ein Antrag des leitenden Kirchenausschusses. Dieser will einem im Frühjahr beschlossenen „Papiertiger“ nun Zähne wachsen lassen. Nachdem mehrere Gemeinden an Bremer Kirchenarbeitslosen – und an dem Gummiparagrafen, diese „vorrangig“ einzustellen – vorbei, ihre Stellen besetzt haben, sollen die Gemeinden sich zu Kriterien verpflichten, nach denen Hauptamtliche Anspruch auf Weiterbeschäftigung in Bremer Gemeinden haben. Dieser Anspruch könnte auf bereits entlassene kirchliche MitarbeiterInnen ausgedehnt werden. Ehrenamtliche aber, Frauen etwa, die nach langer Kindererziehung für ihre Arbeitskraft von der Kirche jetzt Geld bekommen wollen, sollen diese Chance sicher nicht bekommen. Ebensowenig Beschäftigten mit befristeten Verträgen, so der Tenor gestern. Sie sollen, so der umstrittene Entwurf, „nachrangig“ beachtet werden. Denn der Kirche geht es auch darum, ihr Gesicht zu wahren und glaubhaft zu bleiben – als zuverlässige Arbeitgeberin gegenüber Altgedienten. ede

Doch Vorschläge darüber, wie das konkret funktionieren soll, gingen den Bremer Gemeinden gestern zu weit. Viele von ihnen sind mit dem bisherigen Apell und seinen Gummiparagrafen zufrieden. Er beeinträchtigt nur die Chancen einzelner – aber nicht die Auonomie der Gemeinden. ede