„Dann zieh' ich eben weiter“

■ Ein Zimmermann aus Liverpool kommt ins Plaudern: „Zu Hause sind wir zu teuer, hier sind wir billiger als die Einheimischen.“ Krankheit ohne Versicherung ist eben „bad luck“

John muß heute Beck's trinken. Eigentlich mag er Heineken lieber, das aber ist dem Irish Pub in der Friedrichstraße gerade ausgegangen. Es ist Feierabend, und so langsam füllt sich die verrauchte Kneipe mit Gästen: Männer vom Bau, die sich auf englisch unterhalten. John ist Zimmermann und kommt aus Liverpool. Angeheuert wurde er von einer holländischen Firma, wie sie auf den Baustellen als Subunternehmer in Erscheinung treten: Sie vermitteln billige Arbeitskräfte aus ganz Europa. John kam vor mehr als zwei Jahren nach Berlin, und hat seitdem auf verschiedenen Baustellen Gerüste gezimmert. „Es war eine gute Gelegenheit für mich, als Bauarbeiter auf dem Kontinent gesucht wurden. Warum sollte ich bis zum Ende meines Lebens zu Hause in Liverpool herumsitzen?“ Zu Hause hätte John wohl kaum eine Chance gehabt, jemals wieder Arbeit in seinem Beruf zu finden, nicht mit über 50, als Langzeitarbeitsloser, und nicht in Liverpool.

Dort, im Norden Englands, gehört Arbeitslosigkeit in die Biographien wie Taufe und Schulbesuch. Daran hat auch der postthatcherische Aufwind zwischen Glasgow und Bristol nichts geändert. Sicher, es sind Arbeitsplätze entstanden, es wird viel gebaut. Aber „dort ist es auf dem Bau wie hier. Die Einheimischen sind zu teuer, also werden billigere Einwanderer oder Saisonarbeiter eingestellt. Da müssen wir eben dahin gehen, wo die Einheimischen noch teurer sind.“

John ist noch mal aufgebrochen, im besten Großvateralter. „Das hab' ich als junger Kerl nicht gemacht, wegzugehen und mich durchzuschlagen.“ Ist es nicht ein bißchen ungewöhnlich, in einem Lebensabschnitt, in dem andere daran denken, sich zur Ruhe zu setzen, in ein anderes Land zu gehen und dort von Baustelle zu Baustelle zu ziehen? „It's exciting.“ Aufregend. Zu Hause hat John nicht viel aufgegeben. Seine Frau starb vor ein paar Jahren, seine Töchter müssen ihn wohl irgendwie vergessen haben. Er jedenfalls will nicht zurück an den Mersey. „Ich denke irgendwie nicht an morgen oder die Zeit in ein, zwei Jahren. Solange ich kann, will ich so leben.“ Seit er in Berlin ist, wohnt er in einem alten Wohnwagen. Anfangs wollte er es sich ja ein bißchen gemütlich einrichten, mit Fernseher, Radio, Mikrowelle. Aber nach einem Einbruch waren die Neuanschaffungen fort und der Wohnwagen verwüstet. Jetzt geht er nur noch zum Schlafen in seinen Wohnwagen. „Die Leute hier nennen mich Survivor.“

Die Leute, das sind britische und irische Bauarbeiter, und hier, das ist das Pub, Familie und Wohnzimmer für viele. Das Münztelefon klingelt häufig – Rückrufe von der Insel. Die hierher ins Pub kommen, kennen sich und warnen einander vor Abzockerfirmen, die nicht zahlen, tauschen Telefonnummern und Adressen. Bauunternehmer finden hier über Zettelaushänge Maurer, Zimmerleute und Gerüstbauer. Johns riesige Hand umfaßt die Bierflasche und prostet ein paar Männern zu, die an der Theke stehen. Sie mögen halb so alt sein wie er. „Wir müssen hier zusammenhalten. In Deutschland ist es auf einmal egal, ob einer aus Irland ist oder aus Newcastle. Da gibt es keine Reibereien. Nicht mal beim Fußball.“

Doch bis auf die Arbeit hat John nicht viel mit ihnen zu tun. Angefreundet hat er sich mit anderen Kollegen aus Posznan in Polen. Dort ist er inzwischen ein paarmal zu Besuch gewesen. Die Familien seiner Freunde waren sehr gastfreundlich. Auf die Sprachprobleme gibt er nicht viel: „Entweder man versteht sich, sonst nutzt auch die Sprache nichts. Und ein paar Brocken lernt man immer.“

Die Diskussion um die Mindestlohnregelung auch für ausländische Bauarbeiter hat John auch mitbekommen. Er kann die deutschen Kollegen verstehen. „But that's the European market. Und solange die Leute frei entscheiden können, wo sie arbeiten, gehen sie dahin, wo sie am meisten verdienen. Und die Unternehmer stellen die Leute ein, die am billigsten sind.“ In seinem Liverpooler Dialekt wird aus dem Wort „money“ immer ein hartes, knappes „munne“. Daß die meisten Briten auf dem Bau als sogenannte Scheinselbständige malochen, für die von der Baufirma keine Versicherungsbeiträge gezahlt werden, gehört für ihn zum Risiko des „freien Mannes“.

Die Bauarbeiter können innerhalb Europas als selbständige Unternehmer Geld verdienen. Es genüge, sich im Herkunftsort als solcher registrieren zu lassen. Fortan ist man für Versicherung und Sozialbeiträge selbst verantwortlich. Und kaum einer zahlt. Und wenn mal was passiert, gerade auf dem Bau? „Bad luck.“ Und was ist, wenn er irgendwann mal seinen Job verliert? „Das ist schon öfter passiert. Da zieht man eben weiter.“ Mal sehen, vielleicht geht er ja nach Polen. Dort hat ihm zumindest das Essen besser geschmeckt als in Deutschland. taz