■ Serbien: Proteste gegen Miloševićs Wahlmanipulation
: Kein Machtwechsel in Sicht

Milošević läßt das Volk nachwählen. Und das mit gutem Grund. Würde er die Rathäuser der großen Städte an die Opposition abgeben, bräche ein Eckpfeiler seines totalitären Einparteienstaates weg. Die Opposition könnte nicht nur zahlreiche Posten in Wirtschaft und Verwaltung mit eigenen Leuten besetzen und die korrupte sozialistische Parteienwirtschaft durchbrechen, sondern auch eine Teilkontrolle über die Medien gewinnen. In Belgrad würde so der TV- Sender StudioB in die Hände der Opposition geraten. Mediale Gegenmacht ist das letzte, was Milošević brauchen kann.

Der Sieg der Sozialisten bei den Parlamentswahlen am 3.November mag noch als Zustimmung zu Miloševićs Dayton-Politik interpretiert werden. Die herben Einbußen der Exkommunisten bei der Kommunalwahl und die tagelangen Proteste von Hunderttausenden gegen die gerichtlich abgesicherte Wahlmanipulation sind dagegen Ausdruck des breiten Unmuts über Mißwirtschaft, Korruption und bürokratische Gängelung durch das Regime. Fast die Hälfte aller arbeitsfähigen Bewohner des Landes sind arbeitslos. Die anderen leben am Rande des Existenzminimums, Funktionäre und Kriegsgewinnler ausgenommen. Der aktuelle Protest könnte sich dennoch rasch totlaufen. Ein Grund dafür dürfte auch der taktische Fehler der Opposition sein, zu den Nachwahlen nicht mehr anzutreten und die eigenen Wähler nochmals zu mobilisieren. Statt dessen setzt die Opposition auf eine diffuse Radikalisierung des Protestes und eine Destabilisierung des Landes.

Im März 1991 zögerte Milošević nicht, den Protest der Straße mit Panzern zu unterdrücken. Und Militär und Polizei sind nach wie vor die Machtstützen des Regimes. Die Opposition kann, im Falle einer blutigen Konfrontation, auch nicht auf Hilfe aus dem Ausland rechnen. Milošević ist schon auf den Friedenszug von Dayton aufgesprungen, als manche seiner heutigen Gegenspieler noch zu Karadžić nach Pale pilgerten. Dies macht ihn für die internationale Politik berechenbarer als seine Opponenten.

So bleibt ein friedlicher Machtwechsel wie in Rumänien oder Bulgarien in Serbien ein frommer Wunsch. Dennoch: Milošević kann die Konflikte nicht lösen, nur unterdrücken. Die Eruption wird am Ende um so heftiger sein. Georg Baltissen