Serbiens Opposition macht sich Mut

Trotz mäßiger Beteiligung könnte Milošević der Opposition mit dem dritten Durchgang der Kommunalwahl den Wind aus den Segeln nehmen. Proteste laufen ins Leere  ■ Aus Belgrad Erich Rathfelder

An der Wand des Empfangsraums in der Zentrale der Serbischen Erneuerungsbewegung hängt ein Gemälde. Es zeigt den Führer der Partei in Siegerpose auf einem Balkon stehend, wie er der jubelnden Masse zuwinkt. Die Pose auf dem Bild liegt Vuk Drašković. Und er verheimlicht nicht, daß er es liebt, von einem Balkon im Zentrum der Stadt aus den Massen zuzuwinken. Auch gestern stand er wieder dort. Die neugewonnene Popularität muß er jedoch mit dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Zoran Djindjić teilen. Ja, Djindjić hat ihn in der Gunst der Protestierenden sogar überholt.

Im Gegensatz zu Drašković, der ein politischer Hitzkopf geblieben ist, der seine Emotionen auch jetzt nicht zu kontrollieren vermag, ist Djindjić ein Kopf, unterkühlt und intellektuell. In seinen Reden spricht er mit leiser Stimme, aber entschlossen. Der 44jährige Bosnier zeigt in seinem ganzen Verhalten, was er politisch will: Den demokratischen Durchbruch in dem von Milošević geführten kommunistischen Staat.

Auch gestern standen über 100.000 bei Schnee und Regen auf dem Terasije-Platz im Stadtzentrum Belgrads. Menschen aus dem von der Wirtschaftskrise gebeutelten Mittelstand sind in der Überzahl. Doch auch Arbeiter sind zu sehen, Studenten und nationalistische Tschetniks mit ihren graugrünen Dreieckhüten. Neben Fahnen Jugoslawiens wehen die Fahnen der EU. Serbien will wieder Teil Europas werden.

„Es ist nicht so“, sagt ein ehemaliger Lehrer, „daß ich diese Opposition voll unterstützen kann. Doch wir haben keine Alternative.“ Jede Familie leide unter der schlechten wirtschaftlichen Situation. So dürfe es nicht weitergehen, sagen auch andere Demonstranten. Da wird über die kleinen Renten geklagt, über die Arbeitslosigkeit und über die Angst vor der bitteren Armut, in die viele Alte gefallen sind. Die Demokratie, so sagt ein junger Mann, werde die sozialen Probleme am ehesten lösen.

Es war diese Stimmung, die am 17. November zu dem großen Erfolg der Opposition bei den Kommunalwahlen geführt hat. 16 der 18 größten Städte Serbiens hatten plötzlich eine oppositionelle Mehrheit. Und das war ein Schock für die Herrschenden, erklärt ein Redakteur der Zeitung Blic, die als eines der wenigen freien Medien die Protestbewegung unterstützt. Die Annullierung von Wahlergebnissen schon am nächsten Tag habe die Nervosität des Regimes gezeigt. Doch das oberste Gericht habe Slobodan Milošević die rechtsstaatliche Fassade zurückgegeben. Nach seiner Ansicht hätte die Opposition den dritten Wahlgang gestern nicht boykottieren dürfen. „Damit hat die Bewegung sich selbst gespalten“, sagt auch Milos Vasić, Redakteur der Oppositionszeitschrift Vreme.

Vor einem der Wahllokale in der Innenstadt stehen diskutierende Menschen. Die Wahlbeteiligung sei äußerst mäßig, bestätigt eine Wahlhelferin. Manche kritisieren den Beschluß, die Wahlen zu boykottieren. Manche tragen Flugblätter mit sich, die zur Stimmabgabe für die Opposition auffordern. Selbst ein Polizist schmunzelt. Auch er vermutet, daß das Flugblatt von der Regierung stammt.

Die Front der Verweigerer steht, heißt es im Hauptquartier der Opposition. Dagegen wird von offizieller Seite geschwiegen. Milošević hält sich zurück. „Er will die Bewegung sich totlaufen lassen, sie wird abbröckeln und ins Leere gehen“, sagt Milos Vasić. Auf dem Terasije-Platz wird weiter demonstriert. Und Vesna Pesić, die Oppositionsführerin zwischen Djindjić und Drasković, will von Fehlern nichts wissen. „Wir gehen unseren Weg, ganz unabhängig davon, was Milošević macht“, sagt sie.Kommentar Seite 10