Aufmucken bei heißen Themen

Beim Forum des Deutschen Bundeswehr-Verbandes zur Inneren Führung erntet Verteidigungsminister Volker Rühe nur verhaltenen Beifall  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Wenn es die Innere Führung nicht gäbe, dann müßte man sie erfinden“, sagt Volker Rühe. Nimmt man die offiziellen Redebeiträge zum Maßstab, dann ist eigentlich nicht einzusehen, warum der Deutsche Bundeswehr- Verband, die Interessenorganisation der Soldaten, in dieser Woche in Bonn überhaupt ein zweitägiges Forum zum Thema Innere Führung veranstaltet hat. In seltener Harmonie priesen hohe Offiziere, Parteienvertreter – von den Grünen bis zur CSU – und eben auch der Verteidigungsminister deren Prinzipien. Alles völlig unumstritten, zumindest öffentlich.

„Man muß aufpassen, daß der Stellenwert der Inneren Führung nicht still, heimlich und leise hinter anderen plakativen Formeln verschwindet“, warnt Oberst Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes. Beispiele seien in diesem Zusammenhang die „kriegsnahe Ausbildung“ oder eine Fixierung auf Einsätze im Rahmen von Krisenbewältigung und Konfliktregelung.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen heute auch intern im Mittelpunkt aller Überlegungen. „Es gibt Leute, die sagen: Im Einsatz können wir Beteiligungsrechte überhaupt nicht brauchen“, meint Gertz. „Das Problem ist, daß Soldaten dazu neigen, die Funktionsfähigkeit von Streitkräften absolut zu setzen. Und dann ist man schon mal bereit, dafür Dinge zu opfern, die man für nice to have, aber nicht für unverzichtbar hält.“

Der innere Zustand der Armee hat die Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten weit weniger bewegt als Streit um politische Grundsatzfragen im militärischen Bereich. Dabei ist andererseits keine andere deutsche Institution seit ihrer Gründung in so hohem Maße auf ihre Integration in die demokratische Gesellschaft hin durchleuchtet worden wie die Bundeswehr.

Furcht vor einem Wiedererstarken des deutschen Militarismus führte dazu, daß die Armee besonders strikten Kontrollmechanismen unterworfen wurde.

Die ständige Überprüfung der Wahrung demokratischer Grundsätze blieb nicht folgenlos. Während Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt Journalisten ohne Genehmigung der Pressestelle kaum die Uhrzeit mitzuteilen wagen, lassen sich viele ranghohe Offiziere den Mund nicht mehr verbieten. Das Bekenntnis zur Demokratie, das von ihnen verlangt wird, fordern sie inzwischen auch bei ihrem obersten Befehlshaber ein.

Das hat Volker Rühe gerade ein weiteres Mal erleben müssen. „Die Leute im Ministerium haben tausend Ängste, die Prinzipien von Offenheit und Meinungsvielfalt gelten zu lassen und auch zu fördern“, kritisiert Oberst Horst Prayon, Kommandeur der Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr. „Fortlaufend wird mit Argwohn beobachtet, wenn von der Regierungsposition abweichende Meinungen vertreten werden. Laßt uns doch ein bißchen freier, ein bißchen offener, ein bißchen selbstbewußter sein.“ Prayon äußert seine Wünsche öffentlich im Plenum: Der Verteidigungsminister solle doch auch seine Umgebung zu „mehr Mut und Offenheit“ auffordern: „Laßt viele Blumen blühen!“ Großer Beifall.

Das Bild der blühenden Blumen gefällt Volker Rühe gar nicht: „Die würde ich mir schon gern anschauen. Vielleicht ist da auch Unkraut darunter.“ Pause. Schweigen. Schließlich konstatiert der Minister enttäuscht das Offensichtliche: „Jetzt gibt's keinen Beifall.“

Oberstleutnant Claus von Rosen von der Führungsakademie der Bundeswehr kritisiert Mängel in der Ausbildungsstruktur der Bundeswehr. In diesem Bereich sei eine grundsätzliche Reform vonnöten. Volker Rühe wehrt ein weiteres Mal ab, diesmal mit einem Satz, der eigentlich einen Lacher garantieren müßte: „Das letzte, was die Bundeswehr braucht, sind Kommissionen.“ Keine Reaktion bei den Zuhörern. Er probiert's noch mal: „Die Sozialdemokraten haben Strukturkommissionen, weil sie nicht wissen, was sie wollen.“ Es lacht immer noch keiner.

„Rühe ist vollkommen ausgewichen“, meint von Rosen später. „Die Strukturreform hat er seit sechs Jahren nicht zu seinem Thema gemacht.“ Nein, er habe keine Einwände dagegen, mit diesen Sätzen zitiert zu werden.

Eine derartige Offenheit ist in wenigen Armeen dieser Welt zu finden. In den meisten Ländern Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg im militärischen Bereich keinen neuen Anfang machen mußten, haben Soldaten erheblich weniger Rechte als in Deutschland.

„Nicht jede Nation, die sich an Einsätzen im Krisenmanagement beteiligt, hat die gleichen konzeptionellen Grundlagen wie die Bundeswehr. Die Gefahr liegt darin, daß es möglicherweise zu Friktionen im gemeinsamen Einsatz kommen kann“, sagt Brigadegeneral Erich Kiesenbauer. Eine leise Sorge um Errungenschaften im Bereich der Inneren Führung ist bei ihm nicht zu überhören.

Nicht alle Teilnehmer an dem Forum teilen die Befürchtungen. Einwände gegen die Prinzipien der Inneren Führung kämen nie von denen, die selbst an Auslandseinsätzen teilgenommen hätten, erklärt Oberst Friedrich-Wilhelm Dieckhoff. Er leitet eine der Arbeitsgruppen des Forums. Sie befaßt sich mit dem Verhältnis zwischen Einsatzausbildung und Innerer Führung.

Auch Generalleutnant Klaus Reinhardt, Befehlshaber Heeresführungskommando, sieht die Prinzipien der Inneren Führung durch Auslandseinsätze nicht in Gefahr. Verzögerungen der Feldpost und Urlaubsfragen seien die Probleme der Soldaten am Einsatzort. „Für die Männer ist Innere Führung das tägliche Geschäft.“

Veränderungen in Atmosphäre und Praxis einer Institution vollziehen sich meist schleichend. „Von unserem Menschenbild her gibt es sicherlich Grenzen, die wir bei der Ausbildung nicht überschreiten wollen, die aber im unmenschlichen Szenario eines Krieges überschritten werden“, sagt Dieckhoff gegen Ende der Arbeitsgruppensitzung. „Wo liegen diese Grenzen? Wie weit wollen wir in der Ausbildung gehen?“ Schweigen.

Dieckhoff fragt nach: „Muß man Hungern üben? Muß man den Umgang mit Toten üben?“ Es ist ganz still im Raum. Nur hinten links flüstert einer: „Heißes Thema.“ Dann dauert es noch einmal sehr lange bis zur ersten Wortmeldung. Auslandseinsätze der Bundeswehr in Krisengebieten sind nicht nur Bestandteil deutscher Außenpolitik. Sie wirken auch nach innen. Das deutsche Militär verändert sich.