Liberté, Fraternité, Brummitee

■ Frankreichs Lastwagenfahrer verbuchen ersten Erfolg an der Streikfront: Sie dürfen früher in Rente. Kampf um Lohn und Arbeitszeit geht weiter. Solidaritätsstreiks bei Bahnen und Air France. Deutsche Lkw-Fahrer hängen fest

Paris (taz) – Ein paar tausend französische und dänische Lkw-Fahrer halten Europa in Schach: Am zehnten Tag des Streiks in Frankreich vermoderten gestern Fische, Obst und Schnittblumen in den Lagerhallen; Schlachtvieh mußte in den Ställen zurückgehalten werden, und große Unternehmen meldeten Kurzarbeit infolge Nachschubmangels an. In den Nachbarländern kam es ebenfalls zu Produktionsengpässen, und zahlreiche Fuhrunternehmen beklagten Verluste, weil ihre Fahrer in „Geiselhaft“ der Streikenden stecken. Portugal und Großbritannien richteten bereits Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe an die französische Regierung. Andere Länder überlegten gemeinsame europäische Schritte zur Beendigung des Streiks.

In Dänemark, wo seit drei Tagen Lkw die deutsch-dänische Grenze blockieren, wurde gestern als letzter Hafen auch Esbjerg für den Exportverkehr gesperrt. Pkw und Reisebusse konnten überall meist ungehindert die Übergangsstellen passieren.

Für die französischen Streikenden führte der Druck auf Paris gestern erstmals zu positiven Ergebnissen: Die Regierung sagte ihnen die Senkung des Rentenalters zu. Wer mit 55 Jahren 25 Dienstjahre nachweisen kann, darf in den vorgezogenen Ruhestand gehen. Über eine Verkürzung der Arbeitszeit, die zweite zentrale Forderung der Streikenden, wurde bei Redaktionsschluß gerade verhandelt. In der Frage einer Lohnerhöhung jedoch beißen die Gewerkschaften bei den Vertretern der 36.000 französischen Fuhrunternehmer, darunter 28.000 kleine Betriebe mit weniger als fünf Angestellten, auf Granit.

Die französische Regierung, die von der Wucht des Konflikts auf dem Asphalt genauso überrascht war wie ein Jahr zuvor von dem auf den Schienen, hatte sich erst tagelang zurückgehalten. Inzwischen drängen ihre Mitglieder, vom Verkehrsminister bis zum Premierminister, energisch auf ein Ende des Streiks. An den Straßensperren allerdings – deren Zahl gestern auf Autobahnen, vor Erdölfraffinerien, Häfen und Großmärkten auf über 240 anstieg – war die Kampfstimmung ungebrochen.

Zusätzlich zu der von Anfang an großen Unterstützung durch die Bevölkerung – die den Streikenden Lebensmittel, Kleidung und Feuerholz bringt – bekamen die copain routiers gestern kämpferische Rückendeckung aus anderen Wirtschaftsbereichen. Das Flugpersonal von Air France und Air Inter trat in einen lang angekündigten 48stündigen Ausstand, um gegen Privatisierung und Stellenstreichungen zu protestieren. Gleichzeitig hielt die kommunistische Gewerkschaft CGT, die in dem Lkw-Fahrer-Streik nur die zweite Rolle nach der sozialdemokratischen CFDT spielt, einen „nationalen Aktionstag“ zugunsten der Lkw-Fahrer ab. Auch ein Teil der französischen Eisenbahner trat in den Ausstand.

Ein Jahr nach dem großen Streik des öffentlichen Dienstes, dessen Teilnehmer mehr als drei Wochen lang vergeblich auf eine Ausweitung ihrer Bewegung gehofft hatten, beweisen nun die Lkw-Fahrer, daß die Beschäftigten der Privatwirtschaft doch nicht völlig apathisch geworden sind. Für die französischen Gewerkschaften und die Opposition ist das ein erfreuliches Zeichen. Die konservative Regierung hingegen, die einen Teil der zusätzlichen Rentenmittel aus dem hochverschuldeten Staatshaushalt nehmen will, muß nun befürchten, daß andere Branchen dem Vorbild der Lkw-Fahrer folgen und ihrerseits in den Streik treten werden. Dorothea Hahn

Bericht Seite 6