Foltern, bis das Geständnis kommt

■ Der iranische Schriftsteller Kameran Bozorgnia über die wachsenden Repressionen und Schikanen gegen kritische Intellektuelle und die Auswirkungen des "Mykonos"-Prozesses auf die innenpolitische Situation

taz: Am 3. November hat einer Ihrer Kollegen, der Literaturkritiker Faradsch Sarkuhi, versucht, aus dem Iran auszureisen. Er ist auf dem Teheraner Flughafen verschwunden. Wie war Ihre Ausreise?

Kameran Bozorgnia: Ich hatte ziemliche Angst. Zumal schon vor Sarkuhi andere Schriftstellerkollegen, die Einladungen ins Ausland hatten, am Flughafen an der Ausreise gehindert worden sind.

Wollen Sie wieder in den Iran zurückreisen?

Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, was mit mir passiert, wenn ich jetzt zurückreise. Die Festnahme des Literaturkritikers Faradsch Sarkuhi bildet den Anfang einer neuen Welle der Repression gegen iranische Schriftsteller. Sie werden regelmäßig von Mitarbeitern des Informationsministeriums [das auch für die iranischen Geheimdienste zuständig ist, Anm d. Red.] verhört und bedroht. Die meisten dieser Schriftsteller gehören zu jener Gruppe, die versucht haben, sich zu organisieren und gegen Schikanen zu protestieren.

Wann hat die neue Welle der Repressionen begonnen?

Etwa 1994. In der Islamischen Republik sind Schriftsteller immer unterdrückt worden, aber es gab unterschiedliche Phasen. Wenn im Iran Schriftsteller festgenommen werden, heißt es, sie seien Agenten einer imperialistischen Kultur. Oder ihnen wird Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit zur Last gelegt. Viele von ihnen werden gefoltert und gezwungen, vor einer Kamera ein „Geständnis“ solcher „Vergehen“ abzulegen. Nach den Gesetzen der Islamischen Republik reicht jede dieser Anschuldigungen für eine Verurteilung – für eine Hinrichtung.

Bei den Parlamentswahlen vom Frühjahr haben sich die konservativen Gegner von Präsident Rafsandschani durchgesetzt. Hat die Repression seitdem zugenommen?

Vor den Wahlen gab es zwischen den verschiedenen Fraktionen der Regierung Konflikte. Dadurch existierte für Kritiker die Möglichkeit, sich zu bewegen – und viele haben ihre Kritik öffentlich gemacht. Nach den Wahlen wurden sie dafür angegriffen. Der Druck richtete sich vor allem gegen jene, die versucht hatten, einen unabhängigen Schriftstellerverband zu gründen. Obwohl ihre Forderungen nicht in erster Linie politisch waren. Es ging um die freie Veröffentlichung ihrer Schriften. Es gibt aber möglicherweise noch einen Auslöser: den „Mykonos“-Prozeß in Deutschland.

Worin besteht die Verbindung zwischen dem „Mykonos“-Prozeß und iranischen Intellektuellen?

Vielen der iranischen Schriftsteller, die in der letzten Zeit festgenommen oder verhört wurden, wurde vorgeworfen, sie seien Spione Deutschlands.

Wie wird dieser Vorwurf begründet?

Einige der Schriftsteller waren letzten Sommer beim Kulturreferenten der deutschen Botschaft zum Abendessen eingeladen, als iranische Geheimdienstler in dessen Haus eindrangen. Damals hieß es, es seien Spione Deutschlands verhaftet worden. Ich weiß von Kollegen, daß die Geheimdienstler eine Kamera hatten. Sie haben die Schriftsteller gezwungen, sich an einen Tisch zu setzen. Dann wurde so gefilmt, daß es aussah wie ein politisches Treffen.

War bei dieser Aufnahme auch der deutsche Kulturreferent Jens Gust dabei?

Am Anfang ja. Dann haben die Geheimdienstler ihn in ein anderes Zimmer gesperrt. Dann haben sie Unterlagen aus seiner Wohnung ausgebreitet und gefilmt. Solches Material paßt zu einer wichtigen Theorie der Islamischen Republik. Sie besagt, ihre Werte würden durch Kulturimperialisten angegriffen. Iranische Kritiker werden als Agenten dieser Kulturimperialisten abgestempelt. Es wird behauptet, sie bekämen Geld aus dem Ausland, um die Werte dieser Imperialisten im Iran salonfähig zu machen. Diese Darstellung wird maßgeblich durch eine Fernsehserie namens „Hoviat“ („Identität“) verbreitet. Diese Sendung wurde zweimal wöchentlich ausgestrahlt.

Wer war alles dabei?

Die wichtigsten iranischen Intellektuellen. Die Serie „Hoviat“ hat die neue Angriffswelle gegen Kritiker eröffnet. Als einige Schriftsteller protestiert haben, hat der Direktor des iranischen Fernsehens, Ali Laridschani, erklärt, die betroffenen Schriftsteller hätten seit Jahren die Islamische Republik angegriffen. Jetzt sei es an der Zeit, „diese Agenten der Imperialisten“ und „Leugner der islamischen Werte“ zu entlarven. Die Zeitung Iran Farda hat gegen die TV-Serie protestiert. Daraufhin widmete sich eine Folge dem Herausgeber der Zeitung, Ezzatollah Sahabi. Es wurde ein „Interview“ mit ihm 1989 im Gefängnis gezeigt. Damals hatte er diverse „Vergehen“ „bereut“. Es würde mich nicht wundern, wenn demnächst andere Schriftsteller im iranischen Fernsehen auftauchen und sich der „Spionage für den Westen“ bezichtigen. Darunter könnte auch Faradsch Sarkuhi sein.

Sind die Aufnahmen aus der Wohnung des deutschen Kulturreferenten im iranischen Fernsehen gezeigt worden?

Bisher nicht.

Können Sie sich vorstellen, daß das noch geschieht?

Ja. Vielleicht werden noch andere Kollegen unter Folter gezwungen, bestimmte Aussagen zu machen. Dann könnte dieser Film dazu dienen, dieses Theaterstück zu vervollständigen.

Was verspricht sich die iranische Führung davon?

Das kann eine Antwort auf den „Mykonos“-Prozeß sein. Wenn die iranische Führung sagen kann: Wir haben Spione für Deutschland bei uns festgenommen. Dann gibt es eine neue Ebene für Verhandlungen zwischen der deutschen und der iranischen Regierung. Die iranische Regierung wird sagen: Wir haben nichts gegen Schriftsteller, aber die Leute, die wir festgenommen haben, sind Spione, die für Deutschland arbeiten. Als Regierung können wir nichts dagegen tun, wenn unabhängige iranische Gerichte diese Leute als Spione verurteilen. Also: hinrichten. Auf dieser Ebene könnten die Bundesregierung und der Iran ihren kritischen Dialog fortführen. Interview: Thomas Dreger