Soharas Reise

Barbara Honigmann siedelte 1986 von Ostberlin nach Straßburg über und ist bekehrte Jüdin. Biographisch sind die Weichen für die Thematik ihrer Bücher also gestellt, dennoch ist weder von deutsch-deutschen Schwierigkeiten die Rede noch wird ein jüdisch-christlicher Disput ausgebreitet. Anhand von Frauengestalten dringt die Autorin vielmehr in gesellschaftliche Intimzonen ein. Ihre Bücher sagen damit mehr über Lebensarten als über Bekenntniswelten aus.

Soharas Reise spielt vornehmlich in Straßburg, dem Sitz einer der größten Jüdischen Gemeinden Europas. Der Roman vermittelt Einblicke in die unterschiedlichen Weisen der jüdischen Glaubensauslebungen. Im Mittelpunkt steht die orthodoxe Jüdin Sohara, die am Ende des Algerien-Krieges ihr Land gemeinsam mit ihrer Mutter verließ. Eines Tages steht ihr zukünftiger Ehemann vor der Tür und bittet um Spenden für die jüdische Diaspora. Gemäß dem Ratschlag ihrer Mutter, dem Mann keine Fragen zu stellen, läßt sie sich von ihm tyrannisieren. In Nacht- und Nebelaktionen reist Sohara, mit immer wieder einem Kind mehr im Gepäck, von einer Stadt in die nächste, weil ihr Mann das so will.

Der Roman beginnt kurz nach der Katastrophe. Der Ehemann ist mit den sechs Kindern verschwunden. Nach einigen Rückblenden gibt's ein rasantes Finale. Eine „Thora Connection“ hat den falschen Rabbiner in eine Falle gelockt, nun muß Sohara James Bond spielen, um ihre Kinder zurückzubekommen. Vielleicht liegt es an dem Zwang zur Story, daß die Figuren gelegentlich überzeichnet wirken. So weiß Sohara fast nichts vom Holocaust, womit die Scheuklappenblickrichtung der Heldin überstrapaziert wird. Dennoch gelingt es Honigmann, die Geschichte einer nur allmählich fruchtenden Neuorientierung – weg vom maskulinen und hin zum feminineren Judentum – nachfühlbar und ohne jede Bekehrungsabsicht zu erzählen.

Stefan Pröhl

Lesung Mo, 2.12., Heinrich-Heine-Buchhandlung, 20 Uhr