„Ich bin gerne ein Skandal“

■ Bea Wyler, seit einem Jahr Rabbiner in Oldenburg, belächelt die Aufregung um ihre Person: „Wir schöpfen nur die Rechte aus“, sagt sie. Und: „Die Tora ist einfach ein gutes Produkt.“

Als Bea Wyler vor über einem Jahr als erste Frau in Deutschland Rabbiner in Oldenburg und Braunschweig wurde, gab es langanhaltende Diskussionen um Judentum und Feminismus. Doch Bea Wyler gab sich pressescheu. Mittlerweile hat die Schweizerin sich eingelebt, und der Sonderstatus ist zur Normalität geworden. Der taz berichtete sie über ihren Alltag in der schnell wachsenden Oldenburger Gemeinde.

taz: Bislang stand der Name Bea Wyler für die Provokation schlechthin. War das beabsichtigt?

Bea Wyler: Nein, das ist uns aufgezwungen worden. Ich bin keine Provokation und ganz nebenbei auch keine Rabbinerin.

Wieso?

Weil Rabbiner ein akademischer Titel ist. Für den habe ich genauso hart und lange gearbeitet wie die Männer, und der wird - so haben mir Germanisten bestätigt - im Deutschen nicht durch eine weibliche Endung verändert.

Und damit ist alles klar?

Ja, nur werde ich, seit ich hier bin, ehrfurchtsvoll auf meine skandalträchtige Existenz hingewiesen. Wenn das Ausschöpfen der Satzungen der jüdischen Gemeinden schon ein Skandal ist, dann bin ich gern ein Skandal.

Aber Ignaz Bubis hat gesagt, er würde nie und nimmer an einem Gottesdienst teilnehmen, der von Ihnen geleitet wird.

Bubis hat sich verblüffenderweise zum Sprecher der Rabbinerkonferenz gemacht, obwohl er es gar nicht ist, und in diesem Zusammenhang ist auch seine ungeschickte Bemerkung gefallen, daß er nie einen Gottesdienst besuchen würde, der von Rabbiner Wyler geleitet wird. Ob ich bei Karstadt ober Horten einkaufe ist meine Wahl und ob Bubis mit den Orthodoxen oder mit uns betet ist seine Wahl.

Vor der Ausbildung zum Rabbiner waren Sie in der PR-Abteilung eines Schweizer Chemiekonzerns tätig. Tummeln Sie sich gerne in Männerdomänen?

Für mich gibt es keine männlichen oder weiblichen Tätigkeiten. Wieso ist Zwiebelhacken weiblich und Nägeleinschlagen männlich? Ich als Feministin denke, die Frauen sollten sich endlich emanzipieren und dazu übergehen, in gleichem Maße ihre Rechte und ihre Pflichten wahrzunehmen.

Was hat Sie denn dazu gebracht, die Wegrichtung zu ändern?

Vielleicht habe ich in der PR-Abteilung etwas Wichtiges gelernt, was mir auch jetzt hilft: In der Öffentlichkeit zu reden, einen Standpunkt einzunehmen und etwas zu verkaufen. Und - die chemische Industrie möge mir das verzeihen - jetzt verkaufe ich einfach das bessere Produkt.

Aber dieses Produkt tut sich mit Frauen schwer.

Es gibt mittlerweile einige Gemeinden, in denen sie die Mehrheit bilden und deshalb auch Einfluß haben. Und einige Gemeinden - und nicht nur die in Braunschweig und Oldenburg - haben auch weibliche Präsidenten. Zum Beispiel auch die Bremer Gemeinde.

Es gab vor kurzem ein Podiumsgespräch, bei dem ich ein ziemlich starkes Plädoyer dafür hielt, daß Frauen die Tora lernen. Da hat ein älterer Mann empört gefragt: „Und wer kocht dann den Fisch?“ Ich habe dann geantwortet, wenn Männer den Talmud lesen können, dann können sie auch Fisch kochen.

Wie sieht der Alltag in den jüdischen Gemeinden aus?

Die jüdischen Gemeinden stehen vor einer großen Herausforderung. Die Mitgliederzahlen steigen stetig und haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. In Deutschland leben jetzt 60.000 Juden für die 20 Rabbiner zuständig sind, und die sind natürlich hoffnungslos überfordert.

Das sind zum großen Teil russische Juden. Wie gehen Sie damit um?

Viele sind ja, das soll jetzt keine Wertung, sondern eine neutrale Feststellung sein, was das Judentum angeht, Analphabeten.Ich sehe das auch als Vorteil. Das ist eine andere Klientel, die aus anderen Lebensumständen kommt. Zum Beispiel Frauen, die haben ihr Leben lang als Ingenieurinnen gearbeitet, immer an der Seite von Männern. Da wäre es absurd, diesen Frauen klar zu machen, daß sie gerade im Gottesdienst nicht bei den Männern stehen sollen, sondern auf die Galerie abgeschoben werden. Deshalb fühlen sie sich bei uns in Oldenburg ganz wohl.

Fragen: Susanne Raubold