Der unaufhaltsame Fortschritt

■ Als Mischung aus Bioladen und Food-Coop hat der Laden "Fortschritt" im Prenzlauer Berg eine Marktlücke gefunden. Bioprodukte sind bis zu 60 Prozent billiger als im Bioladen

Das System ist so einfach wie überzeugend: „Der wichtigste Grund, keine Bioprodukte zu essen, ist der Preis“, sagt Holger Zimmermann. Deshalb betreibt er keinen Bioladen. Aber auch Food- Coops sind nicht jedermanns Sache. „Wer Bioprodukte preiswert haben will, hat oft aber keine Lust, selbst hinterm Tresen zu stehen.“ Auch das weiß Holger Zimmermann. Deshalb betreibt er keine Food-Coop, sondern die Einkaufsgemeinschaft „Fortschritt“. Der Erfolg gibt dem 28jährigen Treptower recht. Binnen acht Monaten ist die Einkaufsgemeinschaft mit ihrem Laden in der Schliemannstraße in Prenzlauer Berg auf über 600 Mitglieder angewachsen.

Daß „Fortschritt“ nicht unbedingt teurer sein muß, zeigt ein Blick in die Regale. Statt neun Mark pro Kilo kosten die Biotomaten in der Schliemannstraße nur fünf Mark, das Kilo Brokkoli gibt es für 4,30 Mark, und der Gouda kostet 2,10 Mark. „Im Prinzip verkaufen wir zum Einkaufspreis“, sagt die 25jährige Christina. Im Prinzip, das heißt Einkaufspreis plus zehn Prozent, „wegen des Schwunds, und weil manche Sachen auch mal schlecht werden“. Damit sich der 125 Quadratmeter große Laden trägt und Holger Zimmermann samt Freundin Christina es nicht bereuen müssen, ihre Jobs als Vertriebsleiter Berlin der Dresdner Bank oder Besitzerin eines Single-Reisebüros geschmissen zu haben, hat jedes Fortschritt- Mitglied eine Aufnahmegebühr von 100 Mark sowie einen monatlichen Obolus zu entrichten. 30 Mark monatlich kostet der Fortschritt für Singles, 40 Mark für Paare. Das ist der Preis, den die Kunden für diese Mischung aus Food-Coop und Bioladen zahlen müssen. „Dafür gibt es aber Preisnachlässe von 30 bis 60 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Bioläden“, sagt Zimmermann. Das wiederum ist der Preis, den die konkurrierenden Bioläden zahlen müssen. Daß die vom Fortschritt nicht so viel halten, davon ist Holger Zimmermann überzeugt: Er weist auf die zerplitterte Ladenscheibe, die vor kurzem eingeworfen wurde.

Doch das kann die Jungunternehmer nicht beirren. „Als wir im März dieses Jahres 15.000 Flugblätter in die Briefkästen geworden haben, hatten wir sofort hundert Mitglieder“, freut sich Holger Zimmermann. Zwischenzeitlich mußte sogar ein Aufnahmestopp verhängt werden, weil das Angebot mit der Nachfrage nicht mehr mithalten konnte. Heute gehen täglich zwölf Kisten Milch und 70 bis 80 Brote über den Ladentisch. Vor allem junge Familien aus der näheren Umgebung zählten zu den Kunden. „Vor allem, wenn eine Frau schwanger wird, ist das ein Grund, auf Bioernährung umzusteigen.“

Mit steigender Mitgliederzahl stieg auch die Zahl der Zulieferer. Obst und Gemüse bezieht das Team mit dem Logo des DDR- Mähdrescherherstellers zu zwei Dritteln von der Großhandelsfirma „Terra-Frisch“. Das restliche Drittel stammt vom Biohof in Brodowin. Milch gibt es ebenfalls aus Brodowin, aber auch noch aus dem Wendland, „weil sich die etwas länger hält“. Der Käse stammt aus Bayern, weil er in Brandenburg zu teuer sei. „Wenn man bei Großhändlern kauft“, erklärt Zimmermann, habe man eben nicht immer die Auswahl, von welchen Erzeugern die Produkte stammen. Uwe Rada