Viel zu lesen, wenig Gehalt

■ Den meisten Menschen fällt es schwer, über ihre Karrierewünsche offen zu sprechen. Ratschläge von "Augenkontakt" bis "Zeitpunkt" sollen helfen. Buchkritik: "Verdienen Sie soviel, wie Sie verdienen?"

„Chef, ich brauch' mehr Geld!“ Wer schon seit vielen Jahren damit herumdruckst, diesen Satz jedoch niemals über die Lippen bringt, dem sei das Buch nachdrücklich zu empfehlen.

Nein, nicht zum Kauf. Am besten geht man in eine gemütliche Bibliothek oder einen Buchladen und liest sich die letzten 20 Seiten in Ruhe durch. Dort nämlich geben die beiden Autoren Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader wertvolle Tips für eine erfolgreiche Verhandlung über Gehaltserhöhungen und ziehen alle Register: Sie liefern eine Checkliste, die dafür sorgen soll, nicht mit unangenehmen Fragen kalt erwischt zu werden. Sie geben detaillierte psychologische Ratschläge von „A“ wie Augenkontakt bis „Z“ wie Zeitpunkt. Sogar ein kleiner Rhetorikkurs wird angeboten – um allzu neugierige Fragen eines Chefs gut zu parieren.

Doch Hesse und Schrader schürfen tiefer. Sie begründen auch, warum es den meisten Leuten so schwer fällt, offen über ihre Karrierewünsche zu sprechen. Kostprobe: „Viele Frauen sind von dem Gedanken beherrscht, daß ihre Arbeitskraft weniger wert ist als die von Männern.“ Frauen gingen nämlich davon aus, daß sie aufgrund familiärer Pflichten vermeintlich viel weniger Energie in das Unternehmen stecken könnten. Die Botschaft: „Seid selbstbewußt und verlangt, was Euch zusteht!“

Die Seiten 9 bis 201 kann man getrost überblättern. Denn die Autoren stellen ihrem handlichen Ratgeber einen überflüssigen Riesenessay voran. Im wesentlichen geht es darum, daß Geld eine böse Sache ist, auf die wir aber in absehbarer Zeit wohl nicht verzichten können. Hesse und Schrader haben fleißig recherchiert und viel zusammengetragen: Da wird die Bergpredigt zitiert und Freud bemüht. Da werden Monatsgehälter aufgelistet und immer wieder zwei Thesen wiederholt, die in den Augen der Verfasser offenbar provozierend und neu sind: Politiker bereichern sich schamlos, und Spitzenmanager sind ihre Gehälter nicht wert.

Die Autoren präsentieren nicht nur zahlreiche Fakten, sondern mindestens ebenso viele Klischees: Die arme Kassiererin, die dem Aufsichtsratsmitglied gegenübergestellt wird, ist natürlich eine Aldi-Kassiererin, weil das ihrem harten Job noch eine zusätzliche Prise sozialer Deklassierung verleiht.

Manche Thesen sind platt. So wird man allen Ernstes belehrt, daß Geld nur dann eine wirklich beruhigende Wirkung habe, wenn die Stabilität der jeweiligen Währung nicht gefährdet sei.

Schade eigentlich. Denn angesichts der erkennbaren Recherche und Kompetenz hätten die Autoren dieses Niveau weit hinter sich lassen können und einen wirklich nachdenkenswerten Essay zum Thema „Geld als Ersatzreligion“ schreiben können. Beim Lesen drängen sich nämlich durchaus interessante Fragen auf: Ist die alles beherrschende Rolle, die Lohn und Gehalt in unserer Gesellschaft spielen, wirklich unausweichlich? Gibt es Alternativen, und wie sind sie zu bewerten? Doch die Autoren finden in ihrem fast penetrant clever und „lesefreundlich“ aufgemachten Buch, dem sinnigerweise ein „Fast-Reader“ vorangestellt wird, nicht die Muße, diesen Fragen wirklich nachzugehen. Sie stellen lediglich kurz den Tauschring als Versuch vor, ohne Bargeld Waren und Dienstleistungen auszutauschen.

Außerdem halten sie ein Plädoyer für mehr Teilzeitarbeit und warnen davor, zu unkritisch jede Form der Mitarbeiterbeteiligung zu bejubeln. Fazit: Das Buch ist zwar interessant, bietet aber für 200 Seiten Lesearbeit nur ein mageres Gehalt. Christoph Schäfer

Jürgen Hesse/Hans Christian Schrader: „Verdienen Sie soviel, wie Sie verdienen? Von Geld, Geltung und Gerechtigkeit“. Eichborn Verlag 1996, 39,80 DM, ISBN 3-8218-14047