Geschäft ist gelaufen

■ Nach der Wiedervereinigung fielen Millionen Neubundesbürger auf clevere Versicherungsvertreter herein. Heute herrscht Mißtrauen vor

„Wer nach den positiven Errungenschaften des Sozialismus sucht, wird bei der ehemaligen Staatlichen Versicherung der DDR fündig.“ Das behauptete Anfang 1991 nicht irgendein Ostalgiker, sondern das Wirtschaftsmagazin Capital.

Die Mehrzahl der Ex-DDR- Bürger dachte aber offensichtlich ganz anders – nur so läßt sich der Erfolg erklären, den die sofort nach dem Mauerfall zwischen Rügen und Leipzig ausgeschwärmten Drückerkolonnen der großen Westunternehmen erzielten.

Rund fünf Millionen neue Verträge, schätzt der Bund der Versicherten (BdV), wurden allein bis zum Frühjahr 1991 abgeschlossen. Danach gab es allerdings erhebliche Umsatzrückgänge, über deren Ursache man sich streiten kann: Die Branche sprach von „Marktsättigung“, Verbraucherschützer dagegen von „verbrannter Erde“.

Denn ein Großteil der seinerzeit an den Mann und die Frau gebrachten Policen, so die Kritik, waren entweder überteuert oder überflüssig. Oder beides. „Das Schlimmste, was ich gehört habe“, erinnert sich die Sprecherin des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, Elke Washausen-Richter, „war eine Frau mit zwölf verschiedenen Haftpflicht- Versicherungen.“

Nur einer von vielen Fällen: Bis zur Vereinigung bearbeitete das Amt jährlich rund 20.000 Beschwerden, im Jahr danach fielen mehr als doppelt so viele Reklamationen an. Der Typus des Versicherungsvertreters, seit jeher ohnehin nicht mit dem besten Renommee gesegnet, galt schon bald als Synonym für den gerissenen Wessi, der seinen ahnungslosen Ost- Landsleuten hemmungslos das Fell über die Ohren zieht. Beispiele für rüde Geschäftsmethoden gibt es jede Menge, und zwar auch im ganz großen Maßstab. Der Direktor der Staatlichen Versicherung der DDR, Günter Ullrich, brach Anfang 1990 die Gespräche mit mehreren an einer Kooperation interessierten Westunternehmen ab, die als durchaus überlebensfähig geltende Assekuranz mit ihrem dichten Vertriebsnetz wurde für 200 Millionen Mark an den Allianz-Konzern verkauft, und Ullrich avancierte zum Vorstandsvorsitzenden – ein Geschäft, das sogar branchenintern grundsätzliche Bedenken hervorrief. Hier sei, ließ sich der Vorstandsvorsitzende der „Colonia“, Dieter Wendelstadt, zitieren, „ein Staatsmonopol durch ein Privatmonopol“ ersetzt worden.

Das Bundesaufsichtsamt war für das damalige Noch-Ausland DDR nicht zuständig und konnte später, so Elke Washausen-Richter, nur noch „alle Kapazitäten darauf richten, auch den anderen Unternehmen möglichst schnell die nötigen Genehmigungen zu verschaffen“, um den Wettbewerbsvorteil der Allianz bald wieder schrumpfen zu lassen.

Einen Monat nach Inkrafttreten des Einigungsvertrags waren denn auch alle am Start, und die Kleinanzeigenspalten wimmelten nur so von Angeboten für „lukrative Nebentätigkeit“. Gesucht wurden Adressensammler, die im Auftrag der „Strukturvertriebe“, also der Drückerkolonnen, ihren Bekanntenkreis abgrasen sollten. Das Prinzip: „Wenn die eigenen Freunde das Angebot empfehlen, muß es schon in Ordnung sein.“

Leichtes Spiel also für die erfahrenen „Berater“, die es schließlich auch bei der seit Jahren von Verbraucherzentralen und anderen Mahnern vorgewarnten Westkundschaft immer wieder schaffen, überteuerte und unpassende Kontrakte loszuschlagen. Vor allem die immer wieder gern aufgestellte Behauptung, daß eine teure und mit entsprechend hoher Provision für den Vermittler dotierte Kapital-Lebensversicherung nachgerade unabdingbar zur Absicherung des Lebensabends gegen die Unwägbarkeiten der neuen Marktwirtschaft gehört, verfing in den neuen Ländern mindestens ebensogut wie in den alten. Allerdings sind die Wessis ob ihres höheren Einkommens wesentlich öfter auch in der Lage, für ihre Dummheiten zu bezahlen. Im Osten dagegen, so Klaus Martens von der Verbraucherzentrale Potsdam, „mußten viele ihre Verträge ändern oder kündigen“ – mit entsprechenden Verlusten.

Die hohen Stornoquoten wurden indes auch für die Versicherungsunternehmen und vor allem für die Strukturvertriebe schnell zum Problem.

„Schlimm erwischt“ hat der Bund der Versicherten nach eigener Einschätzung die Drückerkolonnen mit seiner Öffentlichkeitsarbeit, und die Verbraucherzentralen in den neuen Ländern räumten dem Aufbau der Abteilungen für Finanzberatung Priorität ein. Außerdem können – ein erfreuliches Überbleibsel des DDR-Systems – alle vor dem 1. Januar 1992 abgeschlossenen Verträge jährlich gekündigt werden. Danach gilt allerdings auch hier das „normale“ Kündigungsrecht, das einen Ausstieg in der Regel nach fünf Jahren vorsieht.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft empfahl seinen Mitgliedern jedenfalls schon 1991, über Geschäftsergebnisse im Osten Deutschlands nicht mehr gesondert zu berichten. Eines steht aber auch ohne Einblick in die Bilanzen fest: „Das Image der Branche“, so Verbraucherschützer Martens, „hat unwahrscheinlich gelitten“, es fällt inzwischen fast schwer, die völlig verunsicherten Verbraucher davon zu überzeugen, daß es auch Versicherungen gibt, deren Abschluß man empfehlen kann – seriöse Beratung vorausgesetzt.

Für die Drückerkolonnen, da ist sich Martens sicher, ist das Geschäft jedenfalls vorerst gelaufen: „An den meisten Haustüren werden die heute abgewiesen.“ Jochen Siemer