Chile

■ betr.: "Machismo und Moderne", taz vom 7.11. 96

Astrid Prange nimmt in ihrem Artikel über Frauenpolitik in Chile, den ich generell recht erhellend finde, besonders was die konservative institutionelle Politik angeht, meines Erachtens einen zu parteipolitischen Blickwinkel ein, als daß sie „Poltik von Frauen“ tatsächlich in den Blick bekommen könnte. [...]

Es ist klar, daß mit Einführung der Demokratie die institutionelle Politik wieder wichtiger geworden ist. Das bedeutet aber nicht, daß Politik jetzt nur noch in den Parlamenten stattfindet. Abgesehen davon, daß die breite Frauenbewegung nicht die ganze Transitionsphase hindurch stark und einflußreich war, sondern, wie alle Basisbewegungen in Chile, gegen Ende der Transition zunehmend von den Parteien instrumentalisiert wurde, ist die Entwicklung seit der Demokratie auch nicht nur als Backlash zu bezeichnen: Das Frauenministerium zum Bespiel wäre ohne die Frauenbewegung niemals zustande gekommen.

Was den autonomen Bereich angeht, so gibt es immer noch eine Reihe von Frauengruppen und -projekten, natürlich weniger als während der Diktatur. Sie sind insofern nicht unbedingt von der Bildfläche verschwunden, sind aber für die (internationale) Presse weniger interessant, weil sie nicht mehr so spektakulär auftreten. In den Frauengruppen findet nach wie vor Politik statt, allerdings nicht auf nationaler Ebene, sondern stadtteilbezogen oder auf ein bestimmtes Thema konzentriert. Um einige Beispiele zu nennen: Ein Frauenkollektiv versucht, durch eine feministische Zeitung eine Art Gegenöffentlichkeit herzustellen; in den Armenvierteln schließen sich Frauen zu Einkaufskooperativen zusammen, um dem Konsumrausch, der das Land überfällt und an dem sie nicht teilhaben können, durch gemeinsames, billigeres Einkaufen etwas entgegenzusetzen; Frauen-NGOs führen Schulungen für weibliche Führungskräfte auf den verschiedensten Ebenen durch, und ihre Expertisen zu Frauenfragen werden auch von der Regierung in Anspruch genommen.

Wichtiges politisches Feld ist nach wie vor der Austausch in Gruppen über die eigene Situation als Frau; nicht umsonst hieß der Slogan der 80er Jahre: „Demokratie im Land und im Haus!“, denn viele Frauen hatten sich durch den Austausch mit anderen Frauen ihre Diskriminierung in den eigenen vier Wänden erstmals bewußt gemacht. [...] Susanne Zwingel, Hamburg

Für Astrid Prange ist Chile eine „kuriose Mischung aus Katholizismus und Patriarchat“. Für mich ist ihr Artikel eine Mischung aus Paternalismus und Arroganz. [...]

In Chile gibt es drei Ministerinnen, in der Bundesrepublik mittlerweile noch eine. Meines Wissens gab es noch keine deutsche Ministerin für Bergbau oder in einem anderen „Männerressort“. Und ein eigenes Frauenministerium gibt's in Chile, aber nicht in Deutschland. Was die Bedeutung des Feminismus angeht: Würde eine chilenische Zeitung SPD- Schröder nach seiner Meinung über die Bedeutung des Feminismus in Deutschland fragen und dessen Antwort als Wahrheit über die deutsche Rückständigkeit in Sachen Frauenemanzipation verbreiten?

Chile ist keinesfalls „das konservativste Land Lateinamerikas“. Die von Prange selbst erwähnten Gesetze gegen innerfamiliäre Gewalt und die eheliche Gütergemeinschaft ist in vielen Ländern wie Bolivien, Peru, Mexiko oder gar der Dominikanischen Republik eine Utopie. Die Journalistin eines Landes, in der Vergewaltigungen in der Ehe immer noch nicht als solche bestraft werden können, sollte vielleicht ein wenig bescheidener auftreten. Raquel Aravena Jung, Berlin