Irland stimmt für Knast

■ Bisher waren Angeklagte fast immer auf Kaution bis zur Verhandlung frei

Dublin (taz) – Die „Schloß-und- Riegel-Fraktion“ hat sich durchgesetzt: Die Iren entschieden vorgestern per Referendum, daß die Gerichte künftig Angeklagte bis zur Gerichtsverhandlung einsperren dürfen. Bisher war das nur in seltenen Ausnahmefällen möglich. Das Volk entschied mindestens mit Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderung, in ländlichen Regionen waren es sogar bis zu 90 Prozent. Bei Redaktionsschluß lagen noch nicht alle Ergebnisse vor. Nur knapp ein Drittel der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung.

Hauptgrund dürfte die Einsicht sein, daß es sich bei dem Referendum trotz gegenteiliger Beteuerungen der Politiker um eine kosmetische Übung handelt. Bis auf die Grünen und Sinn Féin sehen alle Parteien in dem Referendum ein Allheilmittel gegen das organisierte Verbrechen. Die Abgeordneten waren unter Druck geraten, nachdem Dublins Drogenprobleme die gleichen Ausmaße wie in New York erreicht haben und die Beschaffungskriminalität sowie die Zahl der Auftragsmorde in den vergangenen anderthalb Jahren in die Höhe geschnellt sind.

Kritiker argumentieren, daß die Regierung mit dem Volksentscheid Internierungen durch die Hintertür einführt und das Grundprinzip abschafft, daß ein Angeklagter bis zu seiner Verurteilung unschuldig ist.

Der Anwalt und Bürgerrechtler Michael Farrell sagt, daß die Regierung falschspiele: Einerseits behaupte sie, denjenigen das Handwerk zu legen, die weitere Verbrechen begehen, während sie gegen Kaution auf freiem Fuß sind; andererseits heißt es, daß nur eine winzige Zahl hartgesottener Verbrecher von der Verfassungsänderung betroffen sei. „Warum dann solch drastischer Schritt“, fragt Farrell, „ein Grundrecht abzuschaffen?“ Er wies darauf hin, daß Irlands Gefängnisse schon jetzt überfüllter seien als zu viktorianischen Zeiten. Die Regierung hat 700 neue Knastplätze versprochen – im Jahr 1999. Ralf Sotscheck