Willkommen im Gehirn

■ Zweiter Teil des Geschichtsprojektes „Buch der Engel“ aufgeführt

Was die Menschen aus verschiedenen Generationen verbindet, was zwischen ihnen ist, Geschichtsbewußtsein und Erinnerung an Geschichten dieser Stadt, all diese Fragen addieren sich zu dem kom-plexen Leitthema des Theaterprojektes Buch der Engel. Dessen zweites Kapitel – das erste fand kürzlich im Bunker am Hauptbahnhof statt – handelt von einer Massenhochzeit 1933, bei der 122 Mitarbeiterinnen der Zigarettenfirma Reemtsma mit SA-Leuten vermählt wurden, um Arbeitsplätze für die Ehemänner frei zu machen.

Statt pompöse Nazizeremonien nachzufeiern, verwandelten die Schauspieler und Schauspielerinnen die Altonaer Johanniskirche in einen assoziativen Erinnerungsraum. Mit der Metapher des Schädels, unter dessen gewölbter Schale im Gehirn Fragen und Bilder, Ausdrücke von Ekel und Versuche der rechtfertigenden Erklärung von einer Hemisphäre zur anderen wechseln, spielte das Ensemble.

Zeitungsausschnitte, Textzeilen aus verschiedenen Ecken des Raumes durchkreuzten unverbunden die sakrale Schädeldecke der Kirche. Nur am Altar unterbrachen Spielszenen den dialogischen Aufbau. Etwa wenn Hans und Magda sich fragen, ob sie damals aus Liebe geheiratet haben.

„Das interessante an dieser Episode waren die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen, die in diesem Projekt mitarbeiten“ erzählt Regisseur Michael Batz: Die Jungen, die sich sehr sicher waren, daß sie der historischen Groteske damals nur mit Ablehnung begegnet wären, und dann jene, die diese Zeit miterlebt haben und in deren Kopf sofort „Filme“ mit längst bewältigt geglaubtem zu laufen begannen.

Fragen wie: „Wie sahen die 122 Hochzeitsnächte aus und was mochten sich die Paare zu sagen gehabt haben?“, angerissene Gedankenanfänge, Erinnerungen und die Abgestoßenseinshysterie der heutigen Generation, der die Älteren beschwichtigende Lebenserfahrung entgegenzusetzen versuchten, bilden die Stück-Fragmente. „Die Armut der Mittel müssen wir mit Reichtum an Ideen kompensieren. Niemand kann erwarten, nach nur vier Tagen Probe am konkreten Stück eine perfekte Show zu sehen, aber das ist auch gar nicht unser Anspruch“, erklärt Michael Batz: „Uns geht es um den Prozeß der Auseinandersetzung, so ist, was wir machen, eher eine Art Konzeptkunst.“ Steffen Kugler