Der Künstler ist jetzt leider kaputt

■ Kampnagel: Die Performance „Epizoo“ arrangiert die Gewalt-Potenz von Technik und Distanz

Jeder Mausklick ein Muskelzucken. Der Körper von Marcel.li Antunez, eingeschraubt in eine monströse „Folter“-Maschine, zappelt nicht, er wird gezappelt, verzerrt und in abstruse Formen gezwungen. Seine Bewegungen liegen in der Hand eines Zuschauers, der am Computer die Maus führt und auf der Bildschirmgrafik den Körperteil anklickt, den er als nächsten zucken sehen will.

Die apokalyptische Vision eines Menschen zu zeigen, der nur noch als eine Marionette des Computers existiert, mag eine mögliche, einfache Metapher von Epizoo sein. Eine andere, korrespondierende Intention von Marcel.li Antunez, Mitbegründer der katalanischen Aktionstheatergruppe La Fura Dels Baus, war es sicherlich, die schon in den 50er Jahren im berühmten Milgram-Experiment gezeigte Mutation des Menschen zum Folterer nachzuspielen. Die Faszination von grenzenloser Kontrolle über andere Menschen steht sicherlich hinter beidem.

„Ihn als Mensch habe ich beim Spielen nicht im Kopf gehabt“, sagt ein Zuschauer am Sonnabend auf Kampnagel. Den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet, wird ge-klickt, bis die (gespielten?) Schreie des Performers an den Kabeln die Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne richten. Dort filmt sich Marcel.li Antunez zwischendrin mit einer an seiner Hand befestigten Kamera und läßt diese Bilder, meist Großaufnahmen seiner Brustwarzen, auf eine Leinwand projizieren. Dort sind zur Ermunterung außerdem plakativ brutale Computerbilder zu sehen: Zeichentrickzangen kneifen in die überdimensionale Künstlerbrust, bis das Blut spritzt, Messer stechen in Oberschenkel und Hämmer zertrümmern Ohrmuscheln.

Der Einfluß des Computers auf den Performer ist tatsächlich gering. Antunez' Pobacken vibrieren, der Mund zieht sich in die Breite und Brust und Nase in die Höhe. „Die totale Kontrolle“ habe sie ja nicht gehabt, bemängelt eine Spielerin nach der Performance. Ständig habe ein Aufpasser ihr vorgeschrieben, wohin sie klicken dürfe. „Sehr emotional“ sei die Erfahrung trotzdem gewesen. „Ich glaube schon, daß ich ihm wehgetan habe, weil ich die Maus falsch bewegt habe“, sagt sie. „Da konnte ich total mitfühlen.“

Ein Grund zum vorsichtigeren Umgang mit dem Computer ist das nicht. Den vereitelt schon der Betreuer, der die Spieler anweist. „Move it!“ fährt er eine Frau an, die ungläubig nur noch den Körper auf der Bühne anstarrt und die Maus längst losgelassen hat.

Staunen macht auch die Lust des Künstlers an seinem Projekt. Wenn sein Gesicht von den pneumatischen Kontakten nicht gerade zur Unkenntlichkeit verzerrt wird, glotzt er provozierend ins Publikum, wo die Gesichter teils Faszination, teils Entsetzen zeigen. Einen Kommentar zu dem, was mit seinem Körper geschieht, gibt er nicht ab, und gerade diese Passivität regt die emotionale und rationale Verstörtheit produktiv an. Ob Ekel oder gespielte Coolness, Epizoo erreicht einen Zweck: Reflexe.

Judith Weber