"Ich wäre absolut beziehungsunfähig"

■ Reden über Aids? Beim ersten Mal ist es noch schwierig, sagen junge Schwule. Man kämpft mit der eigenen Homosexualität und träumt von der ewigen Liebe. Eine Diskussion in der Jugendgruppe "Romeo und Ju

taz: Wann habt ihr euch das erste Mal Gedanken über Aids gemacht?

Patrick: Nachdem ich das erste Mal Sex hatte. Da ist mit klargeworden, daß ich von Aids gar keine Ahnung habe. Ich hatte hinterher eine richtige Panik. Ich war unsicher, weil der, mit dem ich Sex getrieben hatte, so ein Außenseiter war. Ich habe dann auch einen Aidstest gemacht, da war ich 16. Der war zum Glück negativ.

Nico: Beim ersten Mal stand Liebe und Geborgenheit im Vordergrund. Da habe ich noch nicht über Aids nachgedacht. Ich hatte vorher eine heterosexuelle Beziehung, richtig fest. Da war Aids kein Thema. Erst als ich einen Freund hatte, und meine Exfreundin mir sagte, daß bei ihr ein Test gemacht werden müsse. Sie hatte irgendwelche Krankheitssymptone ohne erkennbare Ursache. Da war ich natürlich in Panik. Gott sei Dank ist alles gutgegangen.

Carsten: Es gibt ja zwei Probleme: Wenn man sich frisch verliebt, spricht man nicht gleich Aids und Kondome an. Und zweitens: Je jünger man ist, desto eher denkt man noch, das ist die große Liebe, die hält auf ewig.

Mehmet: Man ist ja ziemlich durcheinander, wenn man sich zum erstenmal zu seiner Homosexualität bekennt. Die sexuellen Kenntnisse sind nicht so groß. Ich hatte fast zwei Jahre einen festen Freund. Wir hatten dann aber Streitigkeiten, und er war auch nicht so treu, und die Beziehung ging auseinander. Ich habe dann einen anderen kennengelernt. Er hatte vorher noch nie Sex, und bevor wir beide Sex hatten, habe ich einen Test machen lassen.

Sebastian: Für mich wäre es eine Selbstverständlichkeit, Kondome zu benutzen. Wenn der andere das nicht will, dann gehe ich eben mit ihm nicht ins Bett.

Nico: Wenn man jemanden kennenlernt, spielt sich ja meist nichts weiter ab als ein bißchen Rumwichsen und Blasen. Wenn man sich länger kennt und auch Analverkehr macht, da spricht man natürlich über das Thema.

Kennt Ihr HIV-Infizierte oder an Aids Erkrankte?

Nico: Durch meinen Exfreund habe ich ein Pärchen kennengelernt. Mit denen haben wir, im wahrsten Sinne des Wortes, Spieleabende gemacht. Halt „Mensch ärgere dich nicht“ und so etwas. Das war völlig normal. Der eine, der Aids hat, ist 36 Jahre, der hat sich das durch Klappensex geholt. Der andere Freund hatte gerade sein Coming-out, hatte das erste Mal Sex mit einem Mann und hat sich gleich Aids geholt. Das war schon eine harte Geschichte.

Wie gehst du mit deinen infizierten Freunden jetzt um?

Nico: Anfangs war da schon ein komisches Gefühl. Man hat sich Gedanken gemacht um so banale Sachen wie Händewaschen. Inzwischen verhalte mich ganz normal.

Sebastian: Wichtig finde ich, kein Mitleid zu zeigen. Es ist einfach eine Tatsache, daß jemand HIV-positiv ist. Das muß man hinnehmen. Fertig. Deswegen kann er genauso mein Freund sein.

Mehmet: Ich würde auch nicht groß Mitleid haben. Irgendwie ist das Schicksal. Manche sterben bei einem Flugzeugabsturz und manchen was weiß ich woran. Leider Gottes gibt es auch Aids.

Stefan: Man muß unterscheiden zwischen Mitleidzeigen und Mitleidhaben.

Adrian: Schwule reagieren ganz anders auf Aids als Heteros. Wenn man schwul ist, ist immer sofort die große Besorgnis da: Man kann ja auch Aids kriegen.

Einige von euch habe einen Aidstest gemacht, andere nicht.

Axel: Ich weiß, daß ich bisher keine Gelegenheit gehabt habe, mir Aids zu holen.

Tilo: Ich bin Blutspender. Da wird das Blut sowieso untersucht. Wenn ich mir also was holen würde, würde ich es erfahren.

Adrian: Ich denke nicht, daß bei mir die Notwendigkeit zu einem Test besteht. Obwohl..., sicher kann man sich nie sein.

Habt ihr mit euren Eltern über Aids gesprochen?

Sebastian: Ich weiß, daß sich meine Mutter viele Gedanken über das Thema macht, auch wenn wir nie darüber gesprochen haben.

Patrick: Ob ich Kondome verwende, ob ich Safer Sex mache, das hat mich meine Mutter noch nie gefragt. Sie hat Vertrauen.

Adrian: Als ich meiner Mutter erzählt habe, daß ich schwul bin, kam gleich die Frage, ob ich denn über Aids Bescheid wüßte.

Axel: Meine Eltern haben gleich nachgefragt: Na, hast du schon Aids? Dann habe ich sie erst mal über das Thema aufgeklärt.

Mehmet: Ich könnte nie mit meinen Eltern über meine Sexualität reden. Selbst dann nicht, wenn ich hetero wäre. Ich komme aus der Türkei. Dort ist man ziemlich religös. Mein Papa fragt immer: Du bist jetzt 23, wann willst du heiraten? Bist du kein Mann?

Wie geht ihr mit dem Thema Tod um?

Adrian: Ich habe Angst davor, auf jeden Fall. Andererseits ist man schnell geneigt, das Thema zu verdrängen.

Stefan: Der Tod an sich ist nicht das Schlimme. Nur: Bei Aids kommt dieses lange Warten dazu.

Patrick: Wovor ich Angst habe, ist die Reaktion der Mitmenschen. Die geraten in Panik, und das macht die Sache noch schwieriger.

Sebastian: Wenn mir jemand sagen würde, ich hätte unheilbaren Krebs, würde ich genauso reagieren, als wenn man mir sagt, ich habe Aids. Der Tod als Endziel ist in beiden Fällen vorprogrammiert.

Mehmet: Ich glaube, mit Aids und Tod ganz gut umgehen zu können. Das Problem wäre nur, wenn ich mir nicht mehr selbst helfen kann, wenn ich auf die Hilfe anderen angewiesen bin. Da würde ich Sterbehilfe wollen.

Nico: Bei Aids und Krebs mache ich schon noch einen Unterschied. Bei Aids lebe ich ständig in der Gefahr, andere zu infizieren. Ich glaube, ich wäre dann absolut beziehungsunfähig. Interview: Jens Rübsam