Leidenschaft als Zauberwort

Ein besonders süßer 4:2-Sieg gegen den 1. FC Köln läßt beim rheinischen Rivalen Bayer Leverkusen die Euphorie in neue Höhen schwappen  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – Und wann war Leverkusen das letzte Mal Tabellenführer? Wenn Kurt Vossen das nur wüßte. Verlegen prescht er vor, also Bayer habe ja doch „in den letzten Jahren“ meist „oben mitgespielt“. Das ist etwas euphemistisch. Macht aber nichts. Denn an diesem Sonnabend ist alles anders und so was erlaubt. „Ich freue mich über diese Nacht“, sagt Vossen. Bayer Leverkusen hat nicht nur den 1. FC Köln im rheinischen Derby 4:2 bezwungen, Bayer steht an der Spitze der Bundesliga. Der Mann, der als Abteilungsleiter Fußball das ist, was in werksfreien Vereinen der Präsident darstellt, ist fest entschlossen, dieses Gefühl zu genießen. Und sei es nur für 24 Stunden.

Vossen weiß, wer ihm die Freude ermöglicht hat, es ist „der Christoph“. Mit Trainer Christoph Daum scheint das Kardinalproblem der Leverkusener endlich gelöst. Jahrelang haben sich die Fußball-Beauftragten des Chemiekonzerns abgemüht, einen Erfolgsverein zu basteln. Künstlich wurde das Konstrukt genannt, weil Bayer nun mal Anhängsel eines Unternehmens ist, die Tradition auf Rasen und Rängen vergleichsweise bescheiden. Künstlich, weil Bayer die Umstrukturierung des Fußballs zum Showereignis immer mit akribischem Eifer vorantreibt. Auf der Family-Street-Tribüne geht jetzt schon das Konzept der unterhaltsamen Popcorn-Nachmittage mit ein bißchen Budenzauber auf dem Rasen auf. VIP-Logen sind im Bau. Womöglich gerade zur rechten Zeit, um sie mit internationalen Spielen zu vermarkten.

Das Zauberwort, das dies in den Bereich des Möglichen holt, hat Christoph Daum gefunden. Es heißt: Leidenschaft. Bislang eine Eigenschaft, die man ernsthaft nur Manager Reiner Calmund zuschreiben durfte. Denn Künstlichkeit war für Bayer besonders deshalb zum Fluch geworden, weil jahrein, jahraus hochbezahlte und talentierte Fußballspieler in eine Art Angestellten-Koma fielen. Wo andernorts Mannschaften zusammenwuchsen, brachen Staransammlungen in Leverkusen stets in gepflegter Lethargie zusammen.

Nur Manager Calmund rackerte und wirbelte – jahrelang vergeblich. Der Versuch, mit Dragoslav Stepanovic „Zirkusluft“ in den Verein zu bringen, schlug genauso fehl wie später der, noch einmal auf Erich Ribbeck zu setzen, der Bayer 1988 zum UEFA-Cup-Sieg geführt hatte. In der vergangenen Saison steuerte Bayer unter Ribbeck auf die Zweitklassigkeit zu. Calmund litt. Ihm allein wurde die späte Rettung am letzten Spieltag gegönnt.

Nun also ist alles anders. In der Mannschaft von heute stehen immer noch viele Protagonisten der abgelaufenen Spielzeit. Und trotzdem zeigt sie eine „Leidenschaft, die ich hier so noch nie beobachtet habe“, sagt Vossen. Er weiß, „daß wir gute Fußballer schon seit Jahren haben, aber: die Psyche ist wichtig.“ Und die hat Daum ins Lot gebracht. Auch er spricht von „Leidenschaft und Begeisterung“ und macht den Eindruck, als wäre er ganz verliebt in seine Spieler. Und nachdem der Derby-Sieg errungen war, konnte er verzeihen, daß seine Elf in der ersten Halbzeit „nicht auf Touren“ gekommen war, auch, daß sie später nach einer 3:0-Führung binnen 17 Minuten sich einer Leichtigkeit überließ, die Köln noch zu zwei Gegentreffern verhalf. Das war schon deshalb nicht so dramatisch, weil zwischendurch Kölns Baumann per Eigentor das 4:1 erzielte.

Weshalb der Leverkusener Anhang wußte: „Die Nummer eins am Rhein sind wir!“ Und alle wissen, daß Bayer sogar die Nummer eins der Liga werden kann. Aber die meisten mögen davon nicht sprechen. Lediglich einen UEFA- Cup-Platz avisiert Daum, öffentlich jedenfalls. Doch schon rutscht es ihm heraus, daß er sich nicht nur oben, sondern „ganz oben festsetzen“ will. Zu souverän hat sich Bayer im Windschatten des Dreikampfs Stuttgart-Bayern-Dortmund in der Spitze etabliert.

Und wann war nun die letzte Tabellenführung? Kurt Vossen hat Erkundigungen eingezogen. Und mußte suchen, bis er jemanden fand, der sich zu erinnern meinte. Unter Stepanovic überwinterte der Verein vor drei Jahren als Tabellenerster. Dann ging's rasant bergab. Vielleicht waren es Gesellenjahre. Es wäre, weiß Daum, nur noch eine „kleine Sensation“, wenn Bayer in dieser Saison die Meisterprüfung ablegen würde.

1. FC Köln: Eschbach - Hauptmann - Baumann, Walser - Zdebel (62. Gaißmayer), Thiam, Oliseh (64. Steinmann), Munteanu, Andersen - Vladoiu, Polster (73. Braun)

Zuschauer: 21.000; Tore: 1:0 Happe (48.), 2:0 Kirsten (61.), 3:0 Sergio (66.), 3:1 Andersen (82.), 4:1 Baumann (86./Eigentor), 4:2 Vladoiu (88.)

Bayer Leverkusen: Heinen - Nowotny - Wörns, Happe - Lehnhoff (81. Rydlewicz), Nico Kovac, Ramelow, Sergio (88. Neuendorf), Heintze - Kirsten, Meijer (73. Feldhoff)