Der Dichter und sein Herrscher

■ Eine Ausstellung im Berliner Literaturhaus Fasanenstraße dokumentiert Leben und Schreiben Michail Bulgakows als einen fortgesetzten Akt des Widerstands gegen die Zensur und gleichzeitig als ewiges Ringen um

Stalin: „Ja, wir müßten die Zeit finden, uns zu treffen, unbedingt. Jetzt wünsche ich Ihnen erst mal alles Gute.“ So beendet der Diktator das Telefonat mit seinem Schriftsteller. Stalin fand nicht die Zeit zu einem Treffen mit Michail Bulgakow. Es glaubte auch niemand, daß Stalin jemals ernsthaft an ein Treffen dachte. Niemand, außer Michail Bulgakow. Bis zum Ende seines Lebens hoffte er darauf, daß Stalin mit einem einzigen Wink sein Schicksal wenden würde, seine Stücke zur Aufführung, seine Romane und Erzählungen zum Druck bringen würde. Wenn er nur wüßte, wie ein Dichter leidet, der totgeschwiegen wird.

Die Ausstellung, die gestern im Berliner Literaturhaus eröffnet wurde, erinnert nicht nur an einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts, sie dokumentiert auch den fortgesetzten Akt der Verhinderung eines Werks durch die Zensur und die wachsende Verzweiflung eines Totgeschwiegenen. Dabei hatte Bulgakow fast noch Glück, war nie inhaftiert, nie direkten Repressalien ausgesetzt. Und schien anfangs sogar in der Gunst der Mächtigen zu stehen. 15mal soll Stalin „Die Tage der Turbins“, Bulgakows erstes Stück, gesehen haben.

Das Publikum feierte den jungen Autor. In rascher Folge werden zwei weitere Bulgakow- Stücke mit großem Erfolg inszeniert. Michail Bulgakow ist der Stardramatiker der jungen Sowjetunion. Doch nur scheinbar läuft alles reibungslos. Schon „Die Tage der Turbins“ mußte dreimal umgearbeitet werden, bis es die Zensurbehörden genehmigten. Noch schärfer als die Zensur reagierte die offizielle Kritik: Sie verdammte den Autor als „literarischen Müllmann“, der die Speisereste auflese, nachdem ein Dutzend Gäste sie ausgekotzt habe, und drohte unverhohlen: „Eine miese Fresse hast du, Kumpel.“

Es ist erstaunlich, daß in solcher Atmosphäre Bulgakows Stücke überhaupt so lange auf den Spielplänen standen, auch wenn man sieht, mit wieviel Sympathie in seinen Stücken die Vertreter der Bourgeoisie gezeichnet werden, wie grotesk verzerrt er die Gegenwart verlacht und wie in der „Purpurinsel“ sogar die Schwierigkeiten des Dramatikers im Kampf gegen den allmächtigen, aber dummen Zensor satirisch beschrieben werden. Doch die Zensurbehörden ließen sich nicht lange verspotten. Sein Stück „Die Flucht“, das sich ausschließlich mit dem Leid der politischen Verlierer der Oktoberrevolution beschäftigt, eine Auftragsarbeit des Moskauer Künstlertheaters, wird 1928 verboten. Stalin, der das Stück ebenfalls gelesen hatte, setzte sich für das Stück ein. Es könne aufgeführt werden, wenn nur ein prosowjetischer Schluß eingefügt würde. Doch das Stück blieb verboten. Zensurbehörden und Schriftstellerverband hatten sich durchgesetzt. Kurz darauf verschwanden alle Stücke Bulgakows von den Theaterspielplänen, eine beantragte Auslandsreise wird ihm verweigert, kein Verlag nimmt mehr Manuskripte von ihm an. Von einem Tag auf den anderen ist der Autor Michail Bulgakow zur Unperson geworden.

In diese Zeit fällt auch das eingangs zitierte Telefonat mit Stalin. Bulgakow hatte in einem Brief an die Regierung der UdSSR verzweifelt um seine Ausweisung aus der Sowjetunion gebeten: „Ich bitte in Erwägung zu ziehen, daß die Unmöglichkeit zu schreiben für mich gleichbedeutend damit ist, lebendig begraben zu sein.“ Er könne nun einmal keine kommunistischen Stücke schreiben, und somit, er sehe das ein, sei er in der UdSSR unmöglich. Kurz darauf der Anruf Stalins. Das Gespräch ist dokumentiert und klingt fast schon als Persiflage auf das Thema „gütiges Väterchen Diktator und sein kleiner Narr“: –S: „Vielleicht sollen wir Sie ins Ausland lassen? Was, haben Sie uns so satt?“ –B: „Ich habe noch mal nachgedacht. Mir scheint, ein russischer Autor kann nicht außerhalb der Heimat leben.“ –S: „Ich denke ebenso. Wo wollen Sie arbeiten? Im Künstlertheater? Sie sollten einen Antrag stellen, ich glaube, man wird einverstanden sein.“

So wurde Bulgakow Regieassistent am Künstlertheater, wo er einmal sogar noch ein eigenes Stück inszenieren durfte: „Die Kabale der Scheinheiligen“ hat 1936 Premiere, und einmal noch kann er davon träumen, ein gefeierter Autor zu sein. Begeistert schreibt er in sein Tagebuch: „Der Saal war mit Prominenten gespickt. Ein riesiger Erfolg. Zweiundzwanzig Vorhänge zählte man. Der Autor wurde laut auf die Bühne gerufen.“ Doch nach sieben Aufführungen ist auch dieses Glück vorbei. Das Stück wird verboten, Bulgakow verläßt das Künstlertheater. Er schreibt noch verschiedene Auftragsarbeiten, vier Opernlibretti, eine Molière-Biographie, einen Theaterroman (mit dem bezeichnenden Untertitel „Aufzeichnungen eines Toten“), die aber alle nicht gedruckt werden. Die letzten Jahre seines Lebens widmet er fast ausschließlich dem „Weltentwurf“, seinem heute bekanntesten Roman „Der Meister und Margarita“, an dem er insgesamt zwölf Jahre arbeitete, ohne Hoffnung auf Veröffentlichung. Auf Stalin setzt er bis zum Ende. „Batum“, sein letztes Stück, ist eine unverhohlene Eloge auf den jungen Stalin, heroisch, platt und ohne Ironie. Das Stück ist ein letzter Versuch, den Bann, der auf seinem Schreiben liegt, zu brechen. Doch die unbegreiflichen Zensurbehörden lassen selbst dieses Stück nicht zu. Am 10. März 1940 stirbt Bulgakow. Noch am selben Tag erhält seine Witwe einen Anruf vom Sekretariat Stalins: „Stimmt es, daß Genosse Bulgakow gestorben ist?“ – „Ja, er ist gestorben.“ Dann wird aufgelegt. Volker Weidermann

Noch bis 12. 1. 97.