Aus Liebe zum Rohbau

■ Jeden einzelnen Stein streicheln: Die Bildhauerin Isa Genzken in Wien

1974 stand der Theorie- und Kunstvermittler Benjamin Buchloh hinter der Kamera und filmte die Bildhauerin Isa Genzken. Dabei bewahrte der Kritiker auch hier seine Distanz zur Künstlerin: Mit bewundernswerter Geduld hielt Buchloh für den Kurzfilm „Zwei Frauen im Gefecht“ ein leicht variiertes Bäumchen-wechsle-dich- Spiel der beiden Protagonistinnen auf Zelluloid fest. Vor zwei halbgeöffneten Fenstern wechseln eine Korpulente und eine Schlanke in unermüdlicher Ausdauer Kleidungsstücke: Rock, Hemd, BH und Gummilatschen.

Die beiden Frauen wirken ein bißchen peinlich, wenn sie nackt sind; aber auch nicht glücklich, wenn sie in kompletter Montur stecken. Sie scheinen selbst nicht recht zu wissen, was sie da wollen, vor der Kamera, über zehn Minuten, ohne Ton und in Schwarzweiß. Lediglich der jeweils neue und trotzdem immer gleiche „Rohzustand“ ihrer Maskerade läßt ab und zu ein Augenzwinkern erkennen – war das die Idee hinter Arte Povera?

22 Jahre später zeigt der Kunstverein der Wiener E. A. Generali Foundation eine Ausstellung mit Arbeiten von Isa Genzken. „MetLife“, so der Titel, ist schon von weitem in weißen Riesenlettern auf einer roten Plastikplane zu lesen, die reichlich überheblich die Straße von Häuserfront zu Häuserfront überspannt. Die Straße und das Banner bilden ein flammendes Empfangstor: „MetLife“ also als Kunst am Bau? Die Idee führt zurück nach Amerika, auch der „Grand Central Terminal“ in Manhattan wird von diesem übergroßen Schriftzug beherrscht. Bereits seit 1982 trägt die Fassade des ehemaligen PanAm-Gebäudes den Namen der „Metropolitan Life Insurance Corporation“. Nachdem die größte amerikanische Fluggesellschaft ihre Residenz an der Parc Avenue aufgegeben hatte, kann man heute in diesem Glaskoloß so ziemlich alles versichern.

Der von 1958 bis 1963 vom Gründervater des Bauhaus realisierte Wolkenkratzer mit seinen 59 Etagen orientiert sich streng am Formenvokabular der klassischen Moderne. Könnte man diesen Riesen mit seinem oktogonalen Grundriß vertikal in der Längsachse durchschneiden, dann würden sich allerdings auch konkrete Bezugspunkte zu den Arbeiten von Isa Genzken ergeben, deren Skulpturen aus mühsam im Raum arrangierten Gerüsten und Stelen aus farbigem Kunstharz bestehen.

Die deutsche Bildhauerin deutet Architektur als plastischen Vorgang. Diese skeletthaften Fragmente, die sich da majestätisch über die kalten Betonräume der Wiener Ausstellungshalle erheben, sind Bruchstücke eines Ganzen, die das Erscheinungsbild der Architektur markieren, verdeutlichen, sichtbar machen. Dabei ist in Genzkens Arbeiten der Bezug zum Rohbau weit intensiver als zum fertiggestellten Objekt. Das zeigt sich auch in den übrigen Arbeiten, die anläßlich dieser retrospektiv angelegten Ausstellung gezeigt werden. Geometrische Skulpturen aus den späten siebiger Jahren werden umrahmt von fotografischen Arbeiten und Collagen, Betonplastiken, die das Skizzenhafte von Interieurs verdeutlichen, sowie einigen Arbeiten, die etwa für die documenta in Kassel entstanden.

Zurück zum Film: Isa Genzkens Methode, verdeckte Situationen offenzulegen, hat etwas von dem prüfend skeptischen Blick eines Kriminologen. „Chicago Drive“, entstanden 1992, fährt die architektonischen Monster und Wunder der gleichnamigen Straße ab. Reich an Kolorit, unterlegt mit lasziven Klängen aus den Ecken des Jazz, gleitet die Kamera von Fenster zu Fenster und streichelt einen Stein nach dem anderen. Das wirkt fast melancholisch. Zugleich markiert „Chicago Drive“ im Filmprogramm zur Genzken-Ausstellung auch ein politisches Statement. Immerhin läuft noch immer die Debatte um den Slogan „Wien darf nicht Chicago (sic!) werden“, mit dem die FPÖ zur Wiener Gemeinderatswahl im Oktober angetreten war. Anja Helmbrecht

„MetLife“, bis 21. Dezember in der E. A. Generali Foundation, Wien. Neben dem Filmprogramm gibt es als Begleitung zur Ausstellung eine Gesprächsreihe mit in Wien tätigen Kuratoren und Kritikern.