Schlimme Typen sorgen für netten Nebenverdienst

■ Mit der „Ertüchtigung“ der Reaktoren in Osteuropa will sich die westliche Atomlobby über Wasser halten. Die Sicherheit jedoch bessert sich dadurch kaum

Nach der Tschernobyl-Katastrophe hatte die Atomindustrie in den westlichen Ländern schnell eine Sprachregelung gefunden: Das kann nur bei den Reaktoren im Ostblock passieren. Die westlichen sind so sicher und wohlüberwacht, daß Katastrophen ausgeschlossen wären. Auch um von den keineswegs so wohlbeherrschten West-AKW abzulenken, wurden den Atomkraftbrüdern im Osten technische Hilfe angeboten.

Nachdem der Eiserne Vorhang aufgezogen war, setzte ein reger Expertentourismus ein. Franzosen, Siemens oder staatliche Sicherheitshüter wie jene von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) pilgerten zu den schlimmsten AKW-Typen. Der potentielle Sanierungsbedarf ist immer noch groß: 1995 waren laut Jahrbuch der Atomwirtschaft im ehemaligen Ostblock 58 Reaktorblöcke in Betrieb und 20 im Bau.

Die Mehrzahl der Reaktoren wurde in Rußland konstruiert – vor allem diverse Ausführungen des Druckwasserreaktors WWER mit 440 oder auch 1.000 Megawatt Leistung. Bei diesem Typ wird Wasser unter Druck an den strahlenden, heißen Brennstäben vorbeigeleitet. Derart erhitzt, erzeugt das Kühlmittel über einen Wärmetauscher Dampf, der dann die Stromturbinen antreibt. Dieser Typ ist auch in Westeuropa und den USA der am weitesten verbreitete. Aber auch einige Exemplare des unsichereren Tschernobyl-Typs RBMK laufen noch heute in Osteuropa (siehe Kasten).

Allein die Wahrscheinlichkeit, daß eines der mit einfachen Instrumenten überwachten WWER- 440-Kraftwerke innerhalb der nächsten 23 Jahre in die Luft fliegt, berechnete die internationale Atomenergiebehörde 1991 auf 25 Prozent. Technische Konzepte für bessere Steuerungen und Kontrollmessungen wurden erarbeitet. Die Kosten für eine Umrüstung auf westlichen Standard – oft ist das wegen des Aufbaus der AKWs nicht möglich – würde nach Schätzungen der Weltbank an die 30 Milliarden Mark kosten.

Die Studien haben bisher wenig bewirkt, glaubt man zum Beispiel einer Studie des Pariser Wise-Instituts im Auftrag der grünen Europaabgeordneten Undine von Blottnitz: Zehn Jahre nach Tschernobyl und nach vielen Millionen für die Expertisen ist die Sicherheit der Ostreaktoren kaum höher.

Kritische Töne waren auch auf einer Tagung der GRS am 14. November dieses Jahres in Köln zu hören. Bei den Maßnahmen zur „Ertüchtigung“ der WWER-Reaktoren „kann eine abschließende Aussage zur Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen nicht getroffen werden“, so die Experten, „weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Analysen zu möglichen Ereignisabläufen vorgelegt wurden“. Im Klartext: Die theoretischen Arbeiten sind zehn Jahre nach Tschernobyl immer noch nicht abgeschlossen. Auch die dringendsten Verbesserungen sind noch nicht überall eingebaut.

Die in den Osten gesandten Experten mußten zu Hause eine gewisse Renitenz melden: Die Russen wollen in einem Machtbereich wie der Atomkraft nicht von westlicher Technik abhängig werden. Außerdem können es sich die armen Regierungen Osteuropas nicht leisten, die West-Atomunternehmen durchzufüttern, selbst wenn sie wollten. Die entsprechenden Rechnunen müßte schon der Westen bezahlen. Reiner Metzger