Grüne zelebrieren Optimismus

■ Der Parteitag der Grünen in Suhl feiert Gunda Röstel und Rezzo Schlauch als neue Stars und proklamiert für 1998 den Machtwechsel in Bonn. Dafür wurde der Konflikt um den Bundeswehreinsatz in Bosnien ausgeklammert

Suhl (taz) – Erfolg macht sexy: Selten wurde jemand bei einer Bundesversammlung von Bündnis 90/Die Grünen so gefeiert wie der Bundestagsabgeordnete Rezzo Schlauch am Wochenende in Suhl. Die rund 700 Delegierten des Parteitags dankten Rezzo Schlauch, der vor drei Wochen in Stuttgart bei der Wahl zum Oberbürgermeister mit 39,3 Prozent ein neues Rekordergebnis für die Grünen eingefahren hat, mit einem minutenlangen Beifall. Der ausgewiesene Realo aalte sich sichtlich in seinem Erfolg. Spöttelnd nahm er für sich in Anspruch: „Tue Gutes und rede darüber.“ Er traf den Nerv der Delegierten. Ihm gelang es, das neue Gefühl der eigenen Stärke unter den Bündnisgrünen zu bündeln: „Wir lassen keinen Zweifel daran“, sagte er, „daß wir den Machtwechsel wollen. Wer die verbrauchte Kohl-Regierung mit einer FDP, die am Tropf der CDU hängt, ablösen will, der kann bei uns sicher sein, daß seine Stimme nicht verschenkt ist.“ Beifall.

Der Wille zum Machtwechsel in Bonn in zwei Jahren dominierte auf der Suhler Parteiversammlung. Die internen Querelen um die weitere Bundeswehrpräsenz im Rahmen der internationalen Friedenstruppen in Bosnien wurde dagegen am Freitag abend erst gar nicht auf die Tagesordnung genommen. Weitere Anträge, die intern umstrittene Friedenspolitik der Bündnisgrünen zu debattieren, wurden gestern mittag an den Länderrat Anfang 1997 in Kassel überwiesen.

Beschlossen hat man auch etwas. So sollen mit einer Reform des Steuersystems die niedrigen Einkommen entlastet werden. Der Grundfreibetrag soll auf 15.000 Mark angehoben und der Eingangssteuersatz für Lohn- und Einkommensteuer auf 20 Prozent gesenkt werden. Auf einen konkreten Wert für den Höchststeuersatz hat man sich nicht festgelegt.

Die neuen Bundesvorstandssprecher heißen Gunda Röstel und Jürgen Trittin. Beide wurden mit etwas mehr als 70 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt. Gegenkandidaten gab es keine. Röstel leitete ihre Vorstellungsrede mit den Worten ein, „Wir, und das sage ich mit allem Nachdruck, sollten dafür sorgen, daß Helmut Kohl seinen politischen Ruhestand nicht 1998 im Kanzleramt fortsetzt.“ Mit Witz und Ironie putzte die 34jährige aus dem sächsischen Flöha die Bonner Koalition herunter: „Wer eine solche Regierungspolitik betreibt, ist nicht konservativ – der ist am Ende.“ Auch Jürgen Trittin erklärte, es gehe um den Machtwechsel und darum, „dieses Land aus seiner neoliberalen Umklammerung zu befreien“.

Als Bundesgeschäftsführerin wurde Heide Rühle in ihrem Amt bestätigt. Mit drei Viertel aller abgegebenen Stimmen erhielt sie das beste der Wahlergebnisse.

Die beiden Vorstandssprecher schlossen eine Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene aus. Röstel erklärte, für eine Koalition mit oder eine Tolerierung der PDS sei sie „nicht zu haben“. Jürgen Trittin gab als Parole aus: „Wer PDS wählt, wählt große Koalition. Wer Kohl ablösen will, muß Grün wählen.“

Zum erstenmal sprach mit Dieter Schulte auch ein Vorsitzender des DGB vor einer grünen Bundesversammlung. Der DGB-Chef wertete seinen Auftritt zum Auftakt des Kongresses als „Ausdruck einer Normalisierung“. Schulte konstatierte zwar weiter bestehende inhaltliche Differenzen zwischen der Gewerkschaftsbewegung und den Bündnisgrünen. Gleichwohl verbinde heute beide, „daß dieser Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland reformfähig und reformwürdig ist, und daß er gegen seine Gegner verteidigt werden muß“. Die Übereinstimmung sei inzwischen auch größer als die bisherige gemeinsame „Überzeugung, daß in Bonn eine unfähige Regierung amtiert“.

Samstag nacht wurden in den Bundesvorstand weiter Regine Barth (Köln) und Angelika Albrecht (Berlin) sowie die Sprecherin des Thüringer Landesverbandes, Katrin Göring-Eckardt, gewählt. Als Männer wurden gestern in das quotierte Gremium der Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Klaus-Dieter Feige, und der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Friedens- und internationale Politik aus Nordrhein-Westfalen, Frithjof Schmidt, gewählt. Wolfgang Gast

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