: Eiskalter Ellenbogencheck
■ Die Polizei scheint chronisch unterbeschäftigt zu sein: Nachdem Julio einem gegnerischen Spieler versehentlich die Kinnlade ausgerenkt hat, wird er in Handschellen abgeführt
Tatort Sportplatz, Rütlistraße in Reinickendorf vor ein paar Tagen. Nach dem Verbrechen wurde der in Kolumbien gebürtige Täter Julio R. von Polizisten in Handschellen abgeführt. Im Rettungswagen hatte zuvor Elmar W. ins Krankenhaus gefahren werden müssen. Der Verletzte ist kein Geringerer als der Präsident des Fußballvereins KSV Johannisthal. Julio hatte ihm die Kinnlade ausgerenkt – durch einen Schlag mit dem Ellenbogen.
Der Hintergrund des kriminellen Geschehens: Die Johannisthaler hatten sich leichtfertig auf ein Match gegen den FC Latino eingelassen, einer bunten Truppe aus Berlinern lateinamerikanischer Herkunft, zeitweise verstärkt durch deutsche Sympathisanten. Zur Tatzeit – es war nach einem Eckball – sprangen Julio und Elmar fast gleichzeitig in die Luft. Der kleine Kolumbianer und der hünenhafte Johannisthaler Präsident, der Julio decken sollte, wie das im Fußball heißt, wollten an den einzigen Ball kommen, der auf dem Spielfeld vorhanden war. Just in diesem Moment versetzte der offensichtlich ebenso heimtückische wie brutale Latino Elmar W. eiskalt den Ellenbogencheck. Eine ausgerenkte Kinnlade tut höllisch weh.
Zum Glück hat es nun keinen Krieg zwischen Johannisthal und dem südamerikanischen Subkontinent gegeben. Statt dessen ließ das arme Opfer als ordnungsliebender, anscheinend juristisch völlig versierter Bürger mit letzter Kraft die Polizei rufen, um den rabiaten Fremdling dingfest zu machen. Die peniblen Ordnungshüter brachten das Anzeigeformular sogar persönlich ins Krankenhaus, wo die Kinnlade des unglücklichen Fußballers gottlob hatte eingerenkt werden können.
Wen wundert es, daß Julio R. die bitterböse Absicht seines Tuns energisch leugnet. Das Gegenteil läßt sich nicht beweisen. Leider hatte nicht einmal der Schiedsrichter den Hergang des Geschehens beobachtet – nur den wie vom Blitz gefällten Präsidenten sah und hörte man schmerzverzerrt am Boden liegend bei lautem Wehgeschrei auf dem schönfärberisch „Spielfeld“ genannten Campus.
Wenn eine Anzeige vorliegt, hat die Polizei die Pflicht zum Einleiten der Ermittlung, zumal anscheinend in der fraglichen Zeit keine anderen schweren Verbrechen zu bekämpfen waren. Die Handschellen, mit denen die Beamten den Täter zur Feststellung seiner Personalien zum Abschnitt 13 in Reinickendorf führten, begründeten sie auf Anfrage des ebenfalls sehr verdächtig aussehenden, in Peru geborenen Trainers Javier V. mit der Gesetzeslage. Juristische Beobachter mutmaßen einen angenommenen Fluchtverdacht.
Der Vorgang kann allen Fußball- und anderen -spielern zukünftig als Lebenshilfe dienen: Wehrt euch gegen Fouls nicht nur qua Schiedsgericht, sondern vor allem durch Anrufe an die chronisch unterbeschäftigte Polizei, die natürlich auch jeden Deutschen bei ähnlicher Sachlage in Handschellen vom Platz führt.
Ganz schlimme Zeiten aber brechen für die Teilnehmer von Länderspielen an. Man denke nur an die niederländische Fußballnationalmannschaft, für deren Festnahme zukünftig nach Gewalttätigkeiten aller Art und Spuckattacken im wahrsten Sinne des Wortes Mannschaftswagen der Polizei eingesetzt werden müssen. Auch im Boxring könnte das Gesetz angewandt werden: Zum Beispiel hätte der Faustkämpfer Dariusz Michalczewski den Kontrahenten Graziano Rocchigiani wegen Nachschlagens mit K.o.-Folge anzeigen können. Rocky mit Handschellen aus dem Ring geführt, das wär' doch was gewesen.
Die Beamten sollten nun sogar erhöhte Wachsamkeit walten lassen. Der taz ist bekannt geworden, daß der kolumbianische Täter vom vergangenen Sonnabend demnächst auf Heimaturlaub fliegen will – ins Land der Drogenmafia. Dann will er wiederkommen. Aber, weiß man es?
Übrigens: einen der Latinos ereilte während des besagten Fußballspiels nach dem beschriebenen Ereignis das Nasenbluten infolge Feindberührung. Aber dieser unordentliche Mensch hatte wohl so wenig Vertrauen zur deutschen Obrigkeit, daß er keine Polizei rief. Und schließlich haben die Latinos die Johannisthaler dann ja wirklich geschlagen – mit 8:0 Toren. Baldus Mondstein
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