Clevere Angsthasen

■ Das 1:1 zwischen Stuttgart und Bayern läßt die Moral von der Geschichte noch offen

Stuttgart (taz) – Jetzt haben sie in Stuttgart also auch eine Vereinshymne. Weil die sich kaum besser präsentieren läßt als vor dem Bundesliga-Spitzenspiel, durfte Interpret Wolle Kriwanek Sonntag abend durch das Neckarstadion defilieren wie ein Faschingsprinz, im Gefolge eine örtliche Samba- Combo. Der brasilianische Touch hat die Anhängerschaft des VfB sehr erweitert: Einen Schnitt von 40.000 hat Gerhard Mayer-Vorfelder nach dem 1:1 gegen die Bayern als Indiz gedeutet für „die Attraktivität unserer Mannschaft“.

Mag sein, daß der Präsident da nicht ganz falsch liegt. Andererseits: Auch Bayern spielt fast ausnahmslos vor ausverkauftem Haus. Mit spieltechnischer Eleganz kann das gleichwohl nicht zusammenhängen. Selten wurde das deutlicher als in Stuttgart, wo zwei gänzlich konträre Fußballphilosophen aufeinandertrafen: die erlebnis- und die ergebnisorientierte.

Der VfB berannte dauerhaft und filigran kombinierend das Bayern-Tor, was zwar hübsch ausschaute, aber kaum erfolgreich war, weil Keeper Oliver Kahn „einfach überirdisch gehalten hat“, wie Augenzeuge Ziege befand. Die Münchener hatten das Glück, nach sieben Minuten durch einen von Basler verwandelten Handelfmeter – Berthold war der Schussel – in Führung zu gehen. Mit dem Ausgleich durch Libero Verlaat war kaum mehr zu rechnen.

Der Fußballphilosoph Ziege drückte die Rationalität des Handels so aus: „Der Angriff gewinnt Spiele, aber die Abwehr die Meisterschaften.“ Und weil es um letzteres geht, waren diesmal alle zufrieden mit der von Giovanni Trapattoni angeordneten Defensivtaktik. Hauptkritiker Jürgen Klinsmann („wir machen den Fehler, zu sehr auf Sicherheit zu spielen“) konnte leider nicht befragt werden – er mußte nach 75 Minuten aufhören und war zuvor einzig durch hektisches Winken aufgefallen. Auch Oliver Kahn allerdings findet, man müsse mal nachdenken, „warum wir nicht auch das 2:0 schießen“. Ein Sieg der Bayern wäre bei konsequenter Nutzung der Konterchancen durchaus möglich gewesen.

Die Stuttgarter mochten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, der FC Bayern habe clever gespielt. „Angsthasen sind das“, meinte Giovane Elber. Indes ist kaum eine andere Mannschaft erinnerlich, die derart emotional ihren Job verrichtet wie der VfB. Elber und Bobic schienen mitunter bereit, dem Schiedsrichterassistenten dessen Fähnlein in den Rachen einzuführen. Gerhard Poschner verging sich gar rempelnd am Pfeifenmann, weshalb er ausgeschlossen wurde kurz vor Spielende. Und alle miteinander glauben sie einmal mehr, die Welt habe sich gegen ihren Spaßfußball verschworen. Oliver Kahn ist so etwas noch nicht untergekommen, „das war unterste Sohle. Da muß man mal eine Dopingprobe machen.“

Ob nun die Stuttgarter der Einnahme von Amphetaminen oder die Bayern der von Betablockern überführt worden wären, läßt sich schwer erahnen. Genauso ist es mit der Moral von der Geschichte. Bayern bleibt vorn, der VfB ist zwei Punkte dahinter Dritter. Letztlich haben die Zauberer die drögen Beamtenkicker nicht vorführen können, womit der Ästhetik zwar nicht gedient, aber eine Lebensweisheit bestätigt ist: Die Klügsten sind nicht immer die Schönen. Markus Götting