Eine „Dialektik von Wettstreit und Solidarität“

■ Ein neues Gesetz soll Italiens Regionen mehr Kompetenzen für die Steuerhebung geben. Die aber rätseln nun, welche denn ihre „spezifischen“ Erwerbszweige sind

Das Zauberwort heißt legge delega: Gesetz zur Übertragung von Rechten. Ins neue Haushaltsgesetz eingefügt, soll es Italiens Regionen weitgehende Kompetenzen für Steuererhebungen einräumen. Die Regierung Romano Prodis erwartet sich davon den „Einstieg in den Föderalismus“ – womit insbesondere der Liga Nord, die mit einer Sezession des reichen Oberitalien vom Rest des Staates droht, das Wasser abgegraben werden soll.

Die Rechtsopposition vermutet aber eher, daß der schlaue Linksliberale Prodi mit dem Manöver nur den Haushalt entlasten will. Denn mit den Steuerbefugnissen gibt Rom auch unzählige teure Aufgaben an die Regionen ab. So etwa den Umweltschutz, ein Großteil kultureller Aufgaben, und insbesonders die „Entwicklung der spezifischen wirtschaftlichen Strukturen der Region“. Um diese neuen Aufgaben zu bewältigen, müssen die Regionen die ihnen nun möglichen Steuerhebungen sehr hoch ansetzen, womit der ohnehin schon hohe Steuer- und Abgabendruck (er liegt im Durchschnitt bei fast 65 Prozent) noch weiter erhöht wird.

Jetzt rätseln die meisten der insgesamt 20 Regionen, was sie denn nun als ihre „Spezifität“ in Sachen Wirtschaft ausgeben sollen. Manche haben es einfach. So ist in Piemont, speziell in Turin und Umgebung, die Großindustrie zu Hause. Fiat baut hier den Hauptteil seiner Fahr- und Flugzeuge. Auch in der Lombardei ist die Industrie ansehnlich vertreten, steht allerdings stark im Schatten des Finanzsektors: Börse und Großbanken. Im Veneto, der nordöstlichen Region, gibt es neben großen Bekleidungsindustrien (etwa Benetton) auch High Tech und viel mittelständische Produktion.

Doch schon etwas weiter südlich gerät die Umfrage der Regionaldezernenten ins Schwammige. Die Toskana etwa lebt zum großen Teil vom Tourismus, will sich aber angesichts abnehmender Besucherzahlen gern an der Entwicklung „sauberer“ Technologiebetriebe beteiligen. Das wünschen sich allerdings auch alle anderen Regionen. Der Slogan: „Kompatibel mit den Forderungen von Reiseunternehmen“ hat sich ebenfalls zur magischen Formel entwickelt. Lazium (um Rom), die Campania (um Neapel) und Apulien (Bari) reklamieren es ebenso für sich wie Sizilien, Sardinien und Kalabrien.

In den zuständigen römischen Ministerien halten sich die von Hunderten Anrufen gepeinigten Beamten die Hände vors Gesicht: „So ist das natürlich nicht gemeint“, sagt der Minister für Regionalangelegenheiten, Franco Bassanini. „Die Regionen sollen herausfinden, welche Erwerbszweige bei ihnen entwickelbar sind, etwa aufgrund vorhandener Traditionen, der geographischen Lage oder der strukturellen Beschaffenheit.“ Für Sizilien könnte er sich zum Beispiel das lange Zeit vernachlässigte Kunsthandwerk, „das von Waren made in Hongkong weggespült worden ist“, als erneuerbaren Sektor vorstellen, in der Lombardei „die Umwandlung vieler umweltschädlicher Betriebe in saubere Anlagen“.

Und, natürlich, der Fremdenverkehr. Der soll nach einem Brainstorming im Regionalministerium nun auch „spezifiziert“ werden. Statt Florenz, Rom, Neapel und die Inseln sollen künftig mehr und mehr die „Bergregionen Zentral- und Unteritaliens, die bisher davon weitgehend unberührt geblieben sind“, gefördert werden.

Das bringt allerdings die Repräsentanten der „klassischen“ Reiseregionen auf die Palme. „In Zeiten, in denen unsere teuren Anlagen aufgrund des Rückgangs Not leiden, könnt ihr uns doch nicht noch weitere Touristen wegschnappen“, schimpfte am vergangenen Wochenende auf einer Tagung in Sperlonga südlich von Rom ein Fremdenverkehrsdezernent von der Küste.

„Regionalismus“, bemerkt sarkastisch der Bürgermeister von Neapel, Antonio Bassolino, „ist eine feine Sache. In Italien aber wird er übers Feinsein nicht hinauskommen.“ Der Gegenvorschlag des notorischen Querdenkers sieht daher wieder mal „ganz anderes“ vor: Statt der Regionen sollen die Städte von den neuen Zuwendungen und Pflichten bedacht werden. Um dann „in einer Dialektik von Wettstreit untereinander und Solidarität miteinander“ die Wirtschaft zu entwickeln. Werner Raith, Rom