Zerouals Wahlbetrug rechnet sich

■ Die EU greift Algeriens Machthaber unter die Arme. Die Opposition wartet vergeblich auf kritische Worte

Madrid (taz) – Nicht einmal eine Schamfrist ließ die Europäische Union verstreichen. Nur vier Tage nach dem Verfassungsreferendum, daß von der algerischen Opposition als „der größte Wahlbetrug seit der Kolonialzeit“ bezeichnet wird, reiste gestern der EU-Mittelmeerkommissar Manuel Marin nach Algier und unterzeichnete ein Hilfsabkommen über 125 Millionen Ecu (240 Millionen Mark), „um den Reformprozeß dauerhaft zu unterstützen“.

Im Hause Marin ist man voll des Lobes für die Politik von Algeriens Präsident Liamine Zeroual. Von „beachtlichem Fortschritt in Sachen Wirtschaftsstabilität“ ist in einer Presseerklärung die Rede, und „das wird durch politische Reformen zusätzlich legitimiert werden“. Algeriens Opposition vernimmt erstaunt solche Worte und wartet vergebens auf Kritik der EU an der Volksabstimmung.

Nach offiziellen Angaben sollen 79,8 Prozent der 16,5 Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung in der letzten Woche teilgenommen haben. 85,81 Prozent von ihnen haben angeblich für die neue Verfassung – die alle islamischen und regionalistischen Partei verbietet sowie den Präsident mit außerordentlichen Machtbefugnissen ausstattet – gestimmt.

Die Opposition, der weder Rundfunk noch Fernsehen zur Verfügung standen, um für Neinstimmen oder den Boykott der Abstimmung zu werben, bezweifelt diese Zahlen. Nach Angaben der Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), die zum Boykott aufgerufen hatte, lag die Wahlbeteiligung nur bei 31,6 Prozent. Vor allem in der Kabylei, der Region der Berberminderheit, seien die Wähler den Wahllokalen ferngeblieben. In der Provinzhauptstadt Tizi Ouzou zeugen selbst die Zahlen des Innenministeriums davon: 25,06 Prozent Beteiligung geben sie an.

Die dort doch zur Wahl gingen, folgten mehrheitlich der größten Oppositionsgruppe des Landes, der Front Sozialistischer Kräfte (FFS) und stimmten mit Nein. In der Kabylei waren es mehr als zwei Drittel. „Auch in anderen Provinzen haben zwischen 35 und 50 Prozent mit Nein gestimmt“, versichert der FFS-Sprecher Zedik Debaili. Um dennoch eine Wahlschlappe zu verhindern, habe die Regierung „künstlich die Wahlurnen vollgestopft“. Vor allem im Südosten des Landes wurde in einigen Provinzen eine 100prozentige Wahlbeteiligung vermeldet. Alle stimmten mit Ja. – „Die offiziellen Ergebnisse haben nichts mit der Realität zu tun“, erklärt die Auslandsführung der 1991 nach ihrem Wahlsieg beim ersten Durchgang der Parlamentswahlen verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS). Eine Einschätzung, der selbst die gemäßigten islamische Parteien Hamas und an-Nahda, die ihren Anhängern das Wahlverhalten freistellten, beipflichten.

Als einzige Partei begrüßte die Nationale Befreiungsfront (FLN) das Ergebnis. Die ehemalige Einheitspartei zeigt sich „erleichtert über die hohe Beteiligung“ und verurteilt die Oppositionsstimmen als „miesmacherisch, extremistisch und sektiererisch“. Die FLN – auf deren letzten Parteitag im September sich endgültig diejenigen durchsetzt haben, die Verhandlungen mit der FIS ablehnen – bildet zusammen mit dem Verband der Bürgerkriegsveteranen und Hamas die politischen Säulen des Regimes. Reiner Wandler