Kleine Fischer gegen Gesetz und Konzern

■ Die größte Zellstoffabrik Chiles will ihre Abwässer ungeklärt ins Meer leiten

Valdivia (taz) – „Manchmal ist ein David stärker als ein Goliath“, grinst Viguera. Er ist Sekretär des Verteidigungskomitees des südchilenischen Fischerdorfes Mehuín, gut 800 Kilometer südlich von Santiago gelegen. Die 1.500 Dorfbewohner haben dem nationalen Zellstoffunternehmen „Celulosa Arauco Constitucion“ (CELCO) vor einem halben Jahr den Krieg erklärt. Dieses will 30 Kilometer landeinwärts am Fluß Cruces das größte Zellulosewerk Chiles bauen, konzipiert für die Produktion von einer Million Tonnen Zellulose pro Jahr. Die giftigen Abwässer, rund 600 Liter pro Sekunde, sollen über ein unterirdisches Rohr direkt in die Bucht von Mehuín geleitet werden.

Einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung prophezeit CELCO der Region. 2.500 Chilenen sollen während der zweijährigen Bauphase einen Arbeitsplatz finden. Ist die Anlage erst einmal fertig, wird sie gut 300 Arbeiter beschäftigen – verlockende Aussichten für eine ländliche und von Arbeitslosigkeit geprägte Gegend. Ähnlich attraktiv auch das Argument, Chile solle seine Holzchips nicht mehr zu Schleuderpreisen an die Japaner oder in die USA verkaufen, sondern endlich Papier in großem Rahmen selber herstellen.

Eine im Juli dieses Jahres von dem Zelluloseunternehmen in Auftrag gegebene Umweltstudie wischte nach nur fünf Wochen die Argumente der Zweifler vom Tisch und bewirkte eine Baugenehmigung. Doch ein in so kurzer Zeit erstelltes Gutachten roch förmlich nach Bestechung.

Die nationale Umweltorganisation CODEFF legte deshalb Berufung ein und erstellte mit der Universität Valdivia eine eigene Studie. Diese prognostiziert enorme Umweltschäden vor allem für das nur 30 Kilometer vom Bauplatz entfernte 5.000 Hektar große Feucht- und Naturschutzgebiet „Rio Cruces“. Einer der Mitarbeiter der Studie ist der Zoologieprofessor Roberto Schlatter: „Die Wassermenge, die für die Herstellung von Zellulose gebraucht wird, ist gigantisch. Ursprünglich sollte es dem Fluß geklärt wieder zugeführt werden. Doch es ist billiger, es einfach ins Meer laufen zu lassen. Ich befürchte, daß der Fluß das Feuchtgebiet nicht mehr mit Wasser versorgen kann.“

Skeptisch ist auch der Bodenphysiker Achim Ellies, ebenfalls Mitarbeiter der Universitätsstudie. „In Chile gibt es keine Gesetzesvorlagen, die Grenzwerte für Schadstoffemissionen vorschreiben. Da nützt die schönste Studie nichts. Und um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, werden wir niemals Normen wie in Kanada oder Skandinavien durchsetzen können.“ Die Dorfbewohner von Mehuín sind der Worte längst leid und haben eigene Verteidigungsstrategien entwickelt. Bürgerwehren hinderten Landvermesser unlängst daran, Vorarbeiten für das unterirdische Rohrsystem durchzuführen. Claudia Ulferts