Würde in den Schulalltag

■ Die Schule in der Vahr will ein eigenes Modell zur Lehrerarbeitszeit ausprobieren

Den alten Zeiten geht es an der Schule in der Vahr an den Kragen. Die LehrerInnen um Schulleiterin Petra Perplies und Stellvertreter Wilfried Solich haben ein eigenes Arbeitszeit- und Unterrichtsmodell für die Grund- und Hauptschule (360 Schüler, 24 Lehrkräfte) ausgearbeitet. Den Plan wollen sie bis 20. Dezember als Modellversuch bei der Schulbehörde einreichen. „Damit gehen wir gegen die Vorschläge der Bildungsbehörde in die Offensive“, sagt die Schulleiterin. Eine weitere Schule, die sich als reformbereit outet, ist die Christian-Andersen-Schule in Bremerhaven.

Das von allen Schul-Gremien abgesegnete Konzept aus der Vahr weicht in einigen Punkten von den jüngst bekanntgewordenen Plänen von Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) ab, mit denen die Lehrerarbeitszeit transparenter gemacht werden soll. „Wir gehen aber davon aus, daß sie uns machen läßt“, sagt Solich. Dagegen spricht wenig. Schließlich ist Frau Kahrs händeringend auf der Suche nach Schulen, die sich an dem - Modellversuch beteiligen. Dieser Versuch ist in einem Kooperationsvertrag mit der Gewerkschaft GEW festgeschrieben. Wird auf diese Weise keine „Effizienzsteigerung“ erreicht, müssen Bremens LehrerInnen eine Stunde mehr unterrichten.

Das Vahrer Modell, in einjähriger Arbeit entwickelt, umfaßt drei Kernpunkte: Ein Klassenraum soll zum Stützpunkt werden, wo Kinder bei Unterrichtsausfall von einem Kollegen betreut werden. Es sollen so weit wie möglich verläßliche Anfangs- und Schlußzeiten garantiert werden, ohne bloße „Aufbewahrung“ zu betreiben. „Damit verbessern wir auch die Qualität des Unterrichts“, weiß Solich. Denn LehrerInnen müssen nicht mehr – wie bisher üblich – zwei Klassen parallel mit Lernstoff versorgen, wenn ein Kollege ausfällt. Allerdings: Ohne Neueinstellungen von LehrerInnen hat die pädagogische Qualität der Betreuung im Stützpunkt Grenzen. „Wir können nicht 100 Kinder versorgen, wenn mal fünf KollegInnen gleichzeitig fehlen“.

Zweiter Punkt ist eine Verbesserung der Organisationsarbeit: Das gesamte Kollegium soll immer montags nach dem (verkürzten) Unterricht anderthalb Stunden zum Jour fixe in der Schule präsent sein, um Elterngespräche zu führen, Konferenzen vorzubereiten und sich über die Entwicklung der Schule auszutauschen.

Auß-

er- dem wird der Rhyth-mus der 45-Minuten-Lektionen gesprengt. Die Kinder werden – wie schon heute in der Grundschule durchaus üblich – in Blöcken von 90 Minuten „beschult“. Der Dienstag wird als Projekttag für Museumsbesuche oder spezielle Arbeitsgemeinschaften von klassenübergreifenden Aktivitäten (Förderunterricht etc.) freigehalten, um Zwangspausen für andere KollegInnen zu vermeiden. Insgesamt sollen die LehrerInnen 43,5 Stunden pro Unterrichtswoche arbeiten. Das ist gut eine Stunde weniger als von Kahrs vorgesehen. „Wir haben die Zeit abgezogen, die die KollegInnen in Schullandheimen verbringen“, erklärt Solich.

Daß Senatorin Kahrs in Sachen Arbeitszeit vor Ablauf der Anmeldefrist für den Modellversuch vorgeprescht ist, nennt Schulleiterin Perplies einen „Anschlag auf die Motivation.“ Auch sei der Zeitrahmen viel zu eng. Kahrs möchte schon im Mai wissen, ob die im Februar einzuführenden Neuerungen dauerhaft umsetzbar sind. Perplies: „Wir brauchen ein Jahr Probezeit“.

Hinter dem Kahrs-Vorschlag wittern viele LehrerInnen nur Mißtrauen gegen die „faulen Säcke“. Dabei hätten die KollegInnen zunächst begeistert auf eine Reform der Arbeitszeit reagiert, berichtet Solich. Endlich würde gewürdigt, daß Lehrerarbeit mehr ist als 26 mal 45 Minuten.

Wie allerdings die Behörde Lehrerarbeitszeit gewichtet, damit sind die Vahrer nicht einverstanden. In ihrem Konzept rechnen sie für jede Stunde Unterricht die gleiche Zeit für Vorbereitung. „Die Inhalte haben wir drauf“, sagt Solich, der seit 30 Jahren Mathe, Sport und Musik unterrichtet. Dafür müsse aber heute sehr genau überlegt werden, wie der Lernstoff den Kindern individuell zu vermitteln sei. Für Ärger sorgt zudem, daß noch nicht die verabredete Studie in Auftrag gegeben wurde, mit der die Belastung der Lehrer gemessen werden soll. Absurd sei es, wenn eine Stunde Unterricht vor 25 Schülern ebenso gewichtet wird wie eine Stunde Büroarbeit.

Doch bei aller Kritik an der Behörde: Für Petra Perplies führt kein Weg an einer größeren Autonomie vorbei, denn jede Schule müsse den Anforderungen ihres Stadtteils genügen. Insofern ist sie mit der Richtung der Bildungsbehörde einverstanden. Natürlich könne man politisch immer für oder gegen etwas kämpfen. Aber man müsse doch „vor Ort pragmatisch arbeiten“. Das neue Arbeitszeit-Konzept biete die Chance, „den Schulalltag würdevoller zu gestalten“.

Joachim Fahrun