„Wir produzieren nicht Politik, wir forschen“

■ Martin Uppenbrink, Leiter des Bundesamtes für Naturschutz, über das Artensterben. „Man kann nicht die schwere Naturschutzhand auf jeden Quadratmeter legen.“

taz: Wenn in Deutschland alles so weitergeht wie bisher – was bedeutet das fürs Massensterben von Tier- und Pflanzenarten?

Uppenbrink: Schon heute geht die Zahl von Massenvögeln wie Feldsperlinge zurück. Das wird weitergehen. Feldlerche und Kuckuck stehen schon bald auf der roten Liste der gefährdeten Vögel. Ich fürchte, daß wir langfristig 50 Prozent auf der roten Liste behalten werden.

Die Landwirtschaft gilt als eine Hauptursache des Artentods. Wie soll es ohne eine grundsätzlich andere Produktion eine Erholung geben?

Zum einen gibt es strenge Schutzgebiete. Zum zweiten gibt es Brachflächen, über die es oft einen gewissen Erholungseffekt gibt. Und wenn die Finanzmittel der Landwirtschaft mehr als bisher fokussiert werden auf eine Art Joint- venture mit dem Naturschutz, dann läßt sich damit auch was gewinnen. Einige Arten konnten wir schon auf der roten Liste herunterstufen, weil sie sich erholt haben, zum Beispiel Kormoran, Seeadler, Weißstorch und Kranich.

Wir planen einen Workshop mit den Verursachern Anfang nächsten Jahres. Wir wollen eine Debatte mit der Land- und Forstwirtschaft und auch mit Bauminister Töpfer. Sie alle sollen auch das Recht haben, ihre Vorstellungen einzubringen.

Im vorgelegten Bundesnaturschutzgesetz heißt es, die Landwirtschaft müsse nach „guter fachlicher Praxis“ betrieben werden. Was uns die „gute Praxis“ gebracht hat, ist die Ausrottung vieler Arten.

Die „gute fachliche Praxis“ heißt nicht, daß alles so bleibt, wie es ist. Da liegt etwas Aufforderndes drin. Mit diesem Terminus will man die bestehende Landwirtschaft zwingen, ihre Praktiken zu verbessern. Das ist ja vor kurzem auch geschehen, zum Beispiel mit der Gülleverordnung. Das kann man sich auch im Bereich des Chemikalienrechtes vorstellen.

Der Pestizideinsatz hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Das Landwirtschaftsministerium sieht aber kaum Handlungsbedarf, weil auch die Erträge gestiegen sind. Soll die Umweltpolitik weiter nur im nachhinein die Probleme verwalten?

Politische Fragen müssen Sie Frau Merkel stellen. Wir arbeiten zu. Wir produzieren nicht Politik, wir forschen. Wir werden aber nicht geduckt, das möchte ich betonen.

Was sind denn aus Ihrer forscherischen Sicht die Anforderungen an die Landwirtschaft?

Wir propagieren natürlich eine biologisch-dynamische und ökologische Landwirtschaft. Wir fördern auch 41 Großvorhaben in den neuen Ländern, an denen die Landwirtschaft auch beteiligt ist. Da gibt es Naturschutzgebiete, und im übrigen versuchen wir Arrangements mit den Landwirten zu einer Art Vertragsnaturschutz hinzubekommen. Notfalls könnten wir sie auch rechtlich zwingen. Aber ich sehe da gute Erfahrungen mit den Landwirten. Deshalb bin ich an dem Punkt auch so moderat.

Das aber betrifft alles Ausnahmeflächen. Ihr Amt fordert in einem Bericht aber Naturschutz im ganzen Land und nicht nur auf den zwei Prozent mit offiziellem Schutzstatus.

Der Spruch, Naturschutz muß auf der ganzen Fläche stattfinden, ist wie der des Mediziners, der sagt, es muß eine medizinische Grundversorgung der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland geben. Wenn man genau hinguckt, ist das wahnsinnig schwierig hinzukriegen. Die zwei Prozent Schutzgebiet kann man natürlich erhöhen. In den neuen Bundesländern ist Naturschutz noch auf größerer Fläche möglich. Die westdeutschen Länder haben dagegen Schwierigkeiten wegen der Zersiedelung nach 1945. Da sind kaum wichtige, große Flächen für uns Naturschützer übriggeblieben. Möglicherweise muß man sich die Frage, ob Naturschutz auf der ganzen Fläche stattfinden soll, neu stellen. Man kann nicht die schwere Naturschutzhand auf jeden Quadratmeter Deutschlands legen.

Die Hälfte Deutschlands sind landwirtschaftliche Flächen. Da geht es ja nicht nur um Zersiedelung, sondern um die Produktionsweise.

Jedes Kilo, das in der Landwirtschaft nicht aufgetragen wird, ist uns natürlich lieb. Aber wir sind hier ein Amt der Biologen. Wir haben nicht den chemischen Sachverstand, der im Umweltbundesamt versammelt ist. Die ganze Chemiefracht wird vom Bundesamt für Naturschutz gar nicht bearbeitet. Das ist nicht unsere Zuständigkeit. Das ist vielleicht nicht überzeugend, aber es ist so.

Was ist denn die Aufgabe Ihres Amtes?

Wir stellen die Gefährdungssituation aus Sicht der Biologie dar. Wir erstellen rote Listen für Tiere, Pflanzen und Biotoptypen. Wir haben rote Listen für das Wattenmeer gemacht und für die deutsche Ostsee. Und in den nächsten zwei Jahren erarbeiten wir eine rote Liste mit der Helsinkikommission zusammen für die gesamte Ostsee. Wir stellen fest, analysieren und bewerten. Meine Forscher wagen sich häufig in die politischen Felder nicht vor. Ich verstehe diese Zurückhaltung – sie wollen in dieses garstige Feld nicht hineingehen.

Sie stellen also den Zustand fest und fragen nicht nach Ursachen?

Wir gehen auch den Ursachen nach. Aber bisher sind wir kein Amt, das auch Maßnahmenkataloge aufstellt, so wie das Umweltbundesamt dies vorbildlich tut. Ich glaube allerdings, mein Amt wird sich irgendwann auch stärker mit Beratung beschäftigen als bisher.

Sie sind doch der Chef.

Stimmt, aber das ist so wie ein Feldherr, der mit der Standarte vorneweg marschiert. Er sollte sich gelegentlich auch umgucken, ob noch jemand hinter der Fahne läuft.

Ein anderer Artenfeind ist der Verkehr. Deutschland hat die viertgrößte Straßendichte und baut eifrig weiter.

Mit Sicherheit ist der Verkehrswegebau nicht günstig für den Erhalt unser Arten. Am liebsten wäre mir sogar mancher Rückbau. Aber in bestimmten Situationen kann ich mich einem weiteren Straßenbau nicht gänzlich verschließen – auch wenn ich es gerne täte. Man muß sich jede einzelne Straße angucken. Und wir erreichen in Einzelfällen bessere Linienführung und oft Ausgleichsmaßnahmen.

Glauben Sie, Ausgleichsmaßnahmen können das Verlorene ersetzen?

Nein, höchstens in Ansätzen. Wir haben die betreffende Fläche vorher untersucht. Wenn der Naturschutz bestimmte seltene Arten findet, dann wird die Fläche immer wertvoller. Qualitativ ist der Eingriff zu beschreiben und der Umfang des erforderlichen Ausgleichs festzulegen. Und dafür verlangt der Naturschutz dann solch eine Fläche – entweder nebenan oder anderswo. Da muß der Projektträger entsprechende Flächen kaufen und entsprechende Maßnahmen durchführen.

Wie soll denn das, was für die Ostseeautobahn zerstört wird, ausgeglichen werden?

Da kann man helfen durch Trassierung. Wir haben gesagt: Zerschneidet nicht dieses Moorgebiet oder diesen Hochwald, sondern geht mit eurer Trasse weg davon. Das wurde auch berücksichtigt. In Mecklenburg-Vorpommern konnte man sich diesen Aufschrei der Naturschützer leisten, weil es da noch weite freie Flächen gibt. Im zersiedelten Westdeutschland ist das viel schwieriger.

Aber bei der Ostseeautobahn geht es doch nicht nur um die Zerstörung begrenzter Biotope. Was dazwischen liegt, ist auch eine unzerschnittene Landschaft.

Das ist richtig. Wenn Sie Naturschutz pur auf der ganzen Fläche ansetzen, findet durch jeden Straßenbau eine Vielzahl von Eingriffen statt. Interview: Annette Jensen