Serbiens Präsident hat sich ins Abseits manövriert: Gibt er den Protesten nach, droht sein Regime zu fallen. Greift er zu Gewalt, drohen Streiks und Aufstände. Die internationale Gemeinschaft übt sich in Distanz zum hofierten "Friedensgaran

Serbiens Präsident hat sich ins Abseits manövriert: Gibt er den Protesten nach, droht sein Regime zu fallen. Greift er zu Gewalt, drohen Streiks und Aufstände. Die internationale Gemeinschaft übt sich in Distanz zum hofierten „Friedensgaranten“

Milošević hat keine Freunde mehr

Den Friedensnobelpreis wird der serbische Präsident Slobodan Milošević jetzt wohl nicht mehr erhalten. Das meinte gestern ein hoher Diplomat in Sarajevo. Die internationale Gemeinschaft rückt von einem Mann ab, der über Jahre von ihr wie kein anderer auf dem Balkan hofiert wurde . Die bayerische Lobhymne „A Hund is er scho“ wurde, sinngemäß übersetzt, gerade von angelsächsischen und französischen Politikern gesungen. Sie haben dem Mann Respekt gezollt, der sie nicht nur einmal an der Nase herumgeführt hat.

Gerade jene, die jetzt bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Lissabon am lautesten gegen Milošević wetterten, genossen offensichtlich noch vor wenigen Tagen den Händedruck des serbischen Präsidenten. Wie etwa der US-amerikanische Unterhändler John Kornblum. Die jetzt erhobene Kritik an dem serbischen Präsidenten ist der Ausdruck einer Absetzbewegung. Ein Vorgang, der an die Bonner Politiker erinnert, die einstmals die Ehre eines Empfangs bei Erich Honecker zu den Höhepunkten ihrer Laufbahn zählten und ein paar Jahre später nichts mehr davon wissen wollten.

Es wird eng für Slobodan Milošević. Der als „Psychopath auf dem Präsidentenstuhl“ Gescholtene aus Montenegro verfügt kaum noch über politische Spielräume. Die Demonstrationen bringen ihn in vielerlei Hinsicht in die Zwickmühle. Läßt er sie gewähren, stärkt er die Massenbewegung. Dann müßte Milošević über kurz oder lang die Forderungen nach der Anerkennung der Kommunalwahlen erfüllen. Und diese waren auf Betreiben des Präsidenten für teilweise ungültig erklärt worden. Geschähe dies: Milošević könnte seinen diktatorischen Regierungsstil nicht weiter durchsetzen. Auch die Forderung nach Pressefreiheit ließe sich wohl nicht mehr unterdrücken. Ebensowenig ließe sich die weitverbreitete Korruption des Regimes vertuschen.

Wollte der Präsdident aber mit Gewalt gegen die Massenbewegung vorgehen, die Folgen wären unabsehbar. Zwar sind die weit über 50.000 Mann der Spezialeinheiten der Polizei gerade für den Einsatz im Inneren geschult. Die Armee dagegen wurde finanziell und personell ausgetrocknet. Die Repression könnte den Funken der Revolte gerade zu einem Brand entfachen. Die Antwort der Opposition könnten Streiks sein. In Niš und anderen Städten haben schon einige Belegschaften zeitweise die Arbeit niedergelegt. Aufstände könnte es dann unter der albanischen Mehrheitsbevölkerung im Kosovo und im muslimischen Sandzak ebenso wie Widerstand im Staatsapparat selbst geben. Die Repression ist zudem ein ungeeignetes Mittel, weil Milošević dann auch außenpolitisch handlungsunfähig wäre.

Schon jetzt ist klar, daß die im Belgrader Regierungspalast heißersehnte Aufnahme in die OSZE wegen der Manipulationen bei den Kommunlawahlen wieder einmal verschoben worden ist. Da zudem noch die Kosovofrage ungelöst ist und die Forderung der Europäischen Union und der USA nach Wiederherstellung einer Autonomieregelung für die Albanerprovinz auf dem Tisch liegt, wird Serbien weiterhin wirtschaftlich sanktioniert. Die Teilsanktionen treffen nicht nur Importe, sie versperren vor allem den Zugang zu den internationalen Finanzinstitutionen. Wirtschaftlich kann Milošević nur durch politische Konzessionen etwas erreichen – was wiederum seine Herrschaft gefährdet.

Es scheint, als würde der Sturz Miloševićs von den Westmächten nur deshalb nicht offen betrieben, weil eine Politik der serbischen Opposition sich noch nicht eindeutig herauskristallisiert hat.

Milošević hat auch unter den Nationalisten verloren

Daß der Führer der serbischen Erneuerungsbewegung, der sehr emotional auftretende Volkstribun Vuk Drasković, so manche politische Kehrtwendung vollzogen hat, macht ihn international zu einem unsicheren Kantonisten. Und Zoran Djindjić, der Vorsitzende der Demokratischen Partei, ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Trotz der „Mängel des Führungspersonals“ lassen Diplomaten in Belgrad erkennen, daß die jetzige Demonstrationsbewegung ernst zu nehmen ist. Angesichts der Tatsache, daß nicht nur Randgruppen wie Studenten und politische Aktivisten der Oppositionsparteien teilnehmen, sondern die breite Masse des verarmten städtischen Mittelstandes bis weit in Arbeiterschichten hinein, hat in Washington, Paris, Brüssel und Bonn Eindruck gemacht. In ihren Augen ist diese Bewegung durchaus mit den Anfängen der demokratischen Revolutionsbewegungen in Osteuropa von 1989 vergleichbar.

Hinzu kommt, daß es Milošević auch auf dem Höhepunkt seiner internationalen Anerkennung nicht gelungen ist, die Niederlage der Serben in Kroatien und Bosnien abzuwenden. Zwar durfte er zusammen mit dem kroatischen Präsidenten Tudjman den Vertrag von Dayton unterschreiben. Er wurde aber für dessen Umsetzung in die Pflicht genommen. Schritt für Schritt mußte er damit die serbischen Nationalisten enttäuschen. Die serbischen Nationalisten in Bosnien und jene aus Kroatien sehen in ihm heute einen ihrer größten Feinde. So könnte es auch von dieser Seite aus zu Provokationen kommen. Schon kursieren Informationen, Truppen des zum Rücktritt gezwungenen bosnischen Serbengenerals Ratko Mladić bereiteten Anschläge im Kosovo vor, um die Albaner zum Aufstand zu provozieren und über diesen Hebel Miloševic zu stürzen. Die Folge wäre ein Krieg in Serbien selbst. Erich Rathfelder