„Der wollte mal Blaulicht sehen“

■ In Harburg legte ein 16jähriger Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft. Die Polizei schließt rechte Motive aus. „Der ist gaga“, meint auch die Algerierin Kheira H., vor deren Fenster es brannte Von Elke Spanner

Die schmale Straße namens „Flutende“ könnte auch Weltende heißen. Einstöckige Häuserzeilen säumen den Weg irgendwo zwischen Autobahnen in Harburg. Am letzten Novemberwochenende kam es hier zu einer Brandstiftung. Jemand legte Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft. Niemand wurde verletzt, es entstand kein Sachschaden. Denn Seyf H., der hier mit seiner Familie lebt, konnte das Feuer rechtzeitig löschen. Zwei Tage zuvor hatte es schon einmal gebrannt – deutsche Nachbarn entdeckten ein Feuer im Kellerschacht ihres Hauses. Alle wissen, wer hier zündelt. Niemand weiß, warum. Alltag am Flutende?

Die Polizei schnappte direkt nach dem Brand einen 16jährigen aus der Nachbarschaft. Er hätte mal Blaulicht sehen wollen, erklärte der Jugendliche den Beamten. In seinem Blut wurden 1,1 Promille Alkohol festgestellt. Es gibt nicht viele Jugendliche in diesem Teil von Harburg. Alle kennen sich hier. Auch in der Flüchtlingsunterkunft ist der 16jährige kein Fremder. „Der kommt oft mit zwei Freunden zum Fußballspielen rüber“, weiß ein Verwaltungsangestellter. Und auch die algerische Familie H. hat ihn schon oft gesehen, ehe er direkt unter dem Fenster ihres Kinderzimmers das Feuer legte.

Die Häuserzeile, in der der 16jährige wohnt, wird von den Nachbarn „Block“ genannt – eine kaum aussagekräftige Beschreibung, denn am Flutende gibt es nur Blocks. Vor seinem Haus lungern zwei Jungs herum. Beide tragen Schirmmützen. Alle Jungs tragen hier Schirmmützen. „Ich weiß, wer es ist, aber ich habe dazu nichts zu sagen“, sagt der Größere der beiden. Kurz darauf nennt er doch einen Namen.

Auf einem schmalen Fußweg an der Rückfront der Häuserzeile schlendert ein Jugendlicher vorbei. Nachbarn hatten den 16jährigen, der so gern mit dem Feuer hantiert, beschrieben: Langhaarig und hager sei er, auffallend hager. Die Beschreibung paßt. Doch auf das Feuer angesprochen, winkt der Junge nur ab: In der Zeitung habe er davon gelesen. Ansonsten hätte er keine Ahnung, wüßte schon gar nicht, wer es war. Im Flutende ist er der einzige, der das behauptet.

Ein paar Häuser weiter leben drei Frauengenerationen unter einem Dach. In Schürze und Sandalen öffnet eine alte Frau die Tür. 40 Jahre lang lebt sie nun schon in diesem Stück Harburg, endlich interessiert sich einmal jemand dafür, was sich hier so tut. Ja, ja, sie habe in der Zeitung gelesen, „daß es im Lager drüben gebrannt hat“. Wichtiger aber ist ihr, daß es zwei Tage zuvor auch in ihrem Keller gebrannt hat – nachdem jemand Feuer gelegt hatte. Sicher sei da derselbe Täter am Werk gewesen, weiß die Alte.

Die Polizei hatte direkt nach dem Feuer in der Flüchtlingsunterkunft einen rechtsradikalen Hintergrund ausgeschlossen. Auch der Verwaltungsangestellte der Flüchtlingsunterkunft glaubt nicht an eine rechte Gesinnung. „Der ist bekannt dafür, daß er ständig Scheiß baut“, weiß er, „das ist so 'ne Art Crash-Kid.“ Zweimal schon habe der 16jährige bei einer Autofirma Scheiben eingeschlagen. Ein anderes Mal habe er einen Gulli aus der Straße entfernt, ein Polizeiwagen sei reingefahren, und die Achse wäre gebrochen. Und selbst die algerische Familie H. glaubt nicht, daß der Anschlag ihnen direkt gegolten habe.

„Der ist ein bißchen gaga“, sagt Kheira H. und wedelt vielsagend mit gespreizten Fingern vor ihrem Gesicht herum. Trotzdem hat die Familie seither Angst, vor allem wegen der drei kleinen Kinder. Vater Seyf, der das Feuer entdeckt hatte, wird seither beim kleinsten Geräusch wach und schaut nach.

Das Häuschen, in dem die Hs. leben, steht in einer Ecke des großflächigen Unterkunftsgeländes. Fünf Holzhäuser stehen hier. Sie sind grau und zweigeschossig. Familie H. lebt unten, seit über drei Jahren. „Nachts ist es hier immer stockdunkel“, erzählt Kheira H. Direkt hinter seinem Haus beginnt ein Fabrikgelände, deshalb die Finsternis. Die kurdische Nachbarfamilie der H.s ist sofort nach dem Feuer aus Angst ausgezogen.

Auch Familie H. würde gerne in eine richtige Wohnung in Harburg ziehen. Doch der Träger der Unterkunft „Pflegen und Wohnen“ habe ihnen auf Anfrage gesagt, sie könnten nur in ein anderes Wohnheim umsiedeln. Einen Paragraph-5-Schein für eine Sozialwohnung haben sie als Asylsuchende nicht. Eine Wohnung auf dem freien Markt können sie sich nicht leisten. Kheira H. und ihr Mann haben als Asylsuchende nur eine Arbeitserlaubnis für wenige Stunden pro Tag.

Was ihnen bleibt ist die Flüchtlingsunterkunft direkt neben dem „Flutende“, in nächster Nachbarschaft lebt der 16jährige. Das Kinderzimmer steht seit der Brandnacht leer. Aus Angst. Auch das ist Alltag am „Flutende“.