Stein aus Fleisch

■ Nester, Höhlen, Tempel: Die Bremer Bildhauerin Rosa Jaisli beschwört in ihren Arbeiten aus Lehm und Alabaster den Geist alter Kultstätten

Den Eingang hüten zwei Wächterinnen aus Sandstein. Wer an ihnen vorbeigeht, sieht sich umgeben von Alabasterblöcken. Selbst auf der Schreibmaschine ruht statt eines Papiers eine Steinscheibe. Alles ist bedeckt mit feinem Staub, sieht nach intensiver Arbeit aus. In einem Atelier ist man meistens gleich mittendrin, doch das Atelier der Bremer Bildhauerin Rosa Jaisli hat einen besonderen Sog.

Den Weg zur Kunst entwickeln

Die 41jährige Chilenin, die 1974 als politischer Flüchtling nach Bremen exilierte, ist umgeben von einer Aura aus Tatendrang, Entdeckungs- und Lebenslust. Sie sitzt nicht gern einfach so rum, immer muß sie an etwas feilen, sägen, schmirgeln. Wenn sie das nicht tut, benutzt sie ihre Hände und Arme zum Unterstreichen der Worte: „Man muß immer etwas Neues machen.“ Eine offensichtlich tief verwurzelte und täglich gelebte Überzeugung, Werke und Biographie dokumentieren eine dauernde Entwicklung. Heute kann die Bremer Künstlerin auf zahlreiche erfolgreiche Ausstellungen im In- uns Ausland zurückblicken.

Die künstlerische Laufbahn begann 1984, als Rosa Jaisli ein Gaststudium bei dem Bildhauer Adrian van der Ende aufnahm. Dieser war so angetan von ihren Talenten, daß er sie einlud, in seinem Atelier zu arbeiten. 1985 gründete Rosa Jaisli die Galerie El Patio, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, KünstlerInnen aus Lateinamerika, Afrika und Asien vorzustellen. Rosa verdingte sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Übersee-Museum, und in ihrer Freizeit bearbeitete sie die schweren Alabasterblöcke, die sie zuvor ins Dachgeschoß ihrer Wohnung geschleppt hatte. Das erste eigene Atelier 1988 war wie eine Befreiung, erinnert sie sich.

Die Würde des Steines bewahren

Alabaster hatte es ihr schon immer angetan. Dieser marmorähnliche Stein zeichnet sich durch seine Transparenz aus, durch seine Farbigkeit und Dynamik. Die Eigenschaft, lichtdurchlässig zu sein, machte den Stein schon bei frühen Kulturen zu einem begehrten Material. So wurde er dünngeschliffen häufig für die Fenster von Kathedralen verwendet. Heutzutage ist er zum Schlüsselanhänger oder Schmuckei verkommen.

„Ich möchte diesem Stein seine Würde zurückgeben“, sagt Rosa Jaisli. Sie holt ihren Rohstoff aus einer Region am spanischen Ebro, wo die knollenartigen Steine aus dem Boden gesprengt werden. Rosa Jaisli verwendet vorwiegend Bruch- oder Endstücke, die in der industriellen Weiterverarbeitung als wertlos erachtet und daher unbenutzt bleiben. Sie sucht sich bewußt gerade die Stücke aus, die als Abfall verworfen wurden.

Die Würde eines solchen Steins bewahren heißt für Rosa Jaisli vor allem, seine Geschichte zu bewahren, sie aufzuheben und sichtbar zu machen. Während sie sich tief, bis zum Kern des Steines hineinarbeitet, und dabei, wie sie sagt, „die Materie von sich selbst befreit“, beläßt sie Teile der Oberfläche in ihrem Zustand. Selbst die Erdanhaftungen bleiben und lassen diese Partien wirken wie eine rissige Haut, die das Innere des Steines, „das Fleisch“, wie die Künstlerin liebevoll sagt, überzieht. Ein Gegensatz, mit dem sie die „die Verletzlichkeit“ des Steines verdeutlicht, symbolisch auch für die Konfrontation von Natur und Kultur.

Architektur der Abstraktion

Dieses Prinzip verfolgt die Künstlerin, seitdem sie mit dem Alabaster arbeitet. Während ihre Skulpturen anfänglich sehr organische Formen aufwiesen, bedient sie sich heute immer häufiger streng geomet, rischer Elemente: Das an sich weiche Material braucht eine härtere Strukturierung, wußte Rosa Jaisli, eines Morgens aus dem Schlafe erwachend und begann, Geraden ins Herz eines Felsblockes zu sägen. Sie führen das Auge, und mit diesem den ganzen Menschen, unmittelbar ins Innere des Gesteins.

Über Treppen und Kreuzungen betritt man die Ruinen versunkener Tempel, die Aufgänge zu Pyramiden oder Geheimgänge zu verfallenden Burgen. Die Skulpturen wirken wie archaische Behausungen, geheimnisvoll in Vergangenheit und Zukunft weisend. Denn das Auge bleibt immer suchend, findet keinen Halt. Leichte Verschiebungen von Geraden, Winkeln gedrehten Flächen und Achsen bringen die Balance zum Kippen. Der Natur ist mit bloßer Geometrie, mit Geraden, Kugeln und Halbkreisen nicht beizukommen.

Auch Rosa Jaislis Lehmarbeiten, die im vergangenen Sommer im Gerhard-Marcks-Haus zu sehen waren, erinnerten stark an Behausungen, an Nester, Kuppeln, Höhlen. „Ich wollte immer Ethnologin werden“, erklärt Rosa Jaisli. „Jetzt mache ich meine eigenen Ausgrabungen“. Dora Hartmann