"Blockaden gehen ins Leere"

■ Der Atomexperte Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt fordert eine neue Entsorgungsdebatte: End- und Zwischenlager, um die Wiederaufarbeitung zu stoppen

taz: Die Plutoniumfabrik in Hanau wird leergeräumt. Ein Teil des Materials, die 205 MOX- Brennelemente für den schnellen Brüter, wird jetzt vielleicht in den USA in Bombenstoff verwandelt; der große Rest heizt via La Hague und Sellafield den europäischen Plutoniumkreislauf an oder wird von den Stromkonzernen zwischengelagert. Was befürwortet das Öko-Institut?

Michael Sailer: Sicher nicht die Wiedereinführung in den Plutoniumkreislauf. Wir sagen ganz klar: Das Material muß zwischengelagert und dann endgelagert werden. Leider sind die 2,4 Tonnen Hanauer Plutonium [Pu] das kleinere Problem für Deutschland. Das gößere Problem ist, daß in der WAA in La Hague und zum Teil auch in Sellafield jedes Jahr weitere fünf Tonnen deutsches Plutonium durch die Wiederaufarbeitung freigesetzt werden. Man muß diese Pu-Erzeugung stoppen. Es muß also jetzt eine neue Entsorgungsdebatte geben. Es ist notwendig, daß sich die Anti-AKW-Bewegung klarmacht, daß im Gegensatz zu vor 15 Jahren, als der Spruch kreiert wurde, daß man über Entsorgung und Endlager erst dann diskutiert, wenn alle AKWs abgeschaltet sind, eine andere Situation mit sehr viel mehr Atommüll und Pu vorfindet als damals. Die Debatte muß jetzt geführt werden.

Aber dann muß man dieser Bewegung doch auch sagen können, für was sie sich einsetzen soll. Für ein Endlager in Gorleben?

Natürlich wäre es sinnvoll, wenn möglichst bald keine AKWs mehr laufen würden, weil dann die weitere Atommüllproduktion gestoppt würde. Dann würde es auch das Risiko eines atomaren Großunfalls nicht mehr geben. Aber man wird gleichzeitig nicht den Blick davor verschließen können, daß schon massenhaft Atommüll da ist. Heute geht der Großteil des Atommülls von hier nach La Hague und Sellafield und wird dort vervielfacht. Jeden Tag wird in La Hague rund 2.000 mal mehr Radioaktivität in die Umwelt abgeblasen als am Standort eines deutschen AKW. Das Pu kommt als MOX-Brennelemente in deutsche AKW zurück. Diese Tatsachen werden zur Zeit noch von der deutschen Anti-AKW-Bewegung verdrängt.

Also: Wer nicht will, daß in der WAA La Hague weitergearbeitet wird, der muß sich für Zwischen- und dann Endlagerung stark machen. Der Standortfrage wird aber laufend ausgewichen.

Ich habe schon oft darauf hingewiesen, daß es ein Trugschluß ist zu glauben, durch die Blockade einer Bahnstrecke bei Gorleben die Atomindustrie zu behindern. Die Atomtransporte an und für sich behindert man damit nicht. Die Transportbehälter mit den abgebrannten Brennelementen gehen dann eben nach La Hague oder Sellafield mit der größeren Umweltbelastung und mit dem Effekt, daß die Plutoniumindustrie systematisch am Leben erhalten wird.

Die Proteste gegen den Castor sind also unsinnig?

Ich kann die Leute in Gorleben verstehen, daß sie die Castor nicht haben wollen. Ich kann auch die Leute in Ahaus verstehen. Das sind Regionen, die nichts mit AKWs zu tun haben, die aber mit Nachfolgeprodukten belastet werden sollen. Aus dieser Sicht heraus sind die Proteste legitim. Sie sind aber nicht dazu geeignet, etwa das Ende der Atomindustrie zu erzwingen. Solange Transporte mit abgebrannten Brennelementen ungehindert und undiskutiert quasi täglich nach Frankreich rollen, gehen die Blockaden in Gorleben ins Leere. Tatsache ist: Wenn die EVUs ihre abgebrannten Brennelemente noch sechs Jahre lang weiter zur Wiederaufarbeitung ins Ausland schaffen, dann hat Deutschland einen Berg von 60 Tonnen abgetrenntem Plutonium.

Also zwischenlagern und dann endlagern. Aber wo?

Ich will jetzt nicht sagen: Gorleben oder Ahaus. Am liebsten wäre es mir, wenn die Betreiber auf dem Betriebsgelände der AKWs Zwischenlager einrichten. Dann kann man sich schon einmal die Transporte sparen, und von Deutschland aus würde der Pu-Kreislauf nicht mehr angeheizt. Außerdem würden die AKW-Betreiber dann jeden Tag sehen, daß sie das Problem endlich lösen müssen. Der Vorschlag von Greenpeace, die Lagerbecken in den AKWs dafür zu verwenden, ist technisch nicht verantwortbar. Da müßte das ganze Reaktorsystem am Leben gehalten werden. Die Elemente müßten langfristig im Lagerbeckenwasser stehen, wobei es dann zu Korrosionsproblemen kommt. Aus sicherheitstechnischen Gründen müssen die Zwischenlager auf dem Betriebsgelände Trockenlager mit z. B. sicherheitstechnisch verbesserten Castor-Behältern sein.

Wir reden jetzt aber immer noch über die Zwischenlagerung.

Ja, aber so wird Zeit gewonnen für eine fundierte Endlagerentscheidung.

Ich rede über Deutschland, denn die Debatte über die Endlagerung deutschen Atommülls im Ausland bedeutet Atommüllexport – und damit faktisch St.-Florians-Verhalten. Das Atommüllproblem in Deutschland ist schon so groß, daß es ein deutsches Endlager geben muß. Eine Debatte über die Suche nach dem sicherheitstechnisch bestmöglichen Standort wäre allerdings einfacher zu führen, wenn kein neuer Atommüll durch den Weiterbetrieb der AKWs produziert würde. Die Devise muß lauten: Für den deutschen Atommüll in Deutschland den am besten geeigneten Endlagerstandort finden. Dazu wäre es wichtig, anders als für den nur aus politischen Gründen gewählten Endlagerstandort Gorleben, die geologischen Untersuchungen in den Mittelpunkt zu stellen. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt