Gefühl und Verletzlichkeit

Trotz synthetischem Sound und Hang zum Klischee: Rosenstolz, die morgen auf Tournee gehen, wollen keine deutschen Schlagersterne sein  ■ Von Gerrit Bartels

Hört man das erste Mal ein Album des Berliner Duos Rosenstolz, fallen einem spontan Veranstaltungen ein wie der „Grand Prix d'Eurovision de la Chanson“ mit seinem bieder und trübe schimmernden Glamour. Das mag an den inhaltlichen Topics wie Liebe, Erotik und dem „großen, peinlichen Gefühl“ liegen; an den humta-humtata machenden Rhythmusmaschinen; an einer auf Hochglanz getrimmten Produktion, die sich viele Stile einverleibt und ihnen dabei jede Seele nimmt: Tatsache ist, daß sich Rosenstolz seit ihren ersten Gehversuchen in einer Grauzone zwischen Schlager und Pop bewegen – mitsamt den Kapriolen und Mißverständnissen, die das im Musikgeschäft so nach sich zieht.

Rosenstolz bestehen im Kern aus dem Komponisten und Keyboarder Peter Plate, einem gebürtigen Niedersachsen, der sein Leben lang vor allem eins im Sinn hatte: Popstar zu werden. Und aus der Sängerin Anna Err, aufgewachsen in der DDR, die sich schon früh mit „Straßentheater, Jazzgeschichten und Standards“ durchs Leben schlug. Einen ersten Namen machten sich die beiden in den Klubs der Berliner Schwulenszene, und spätestens seit ihrem dritten Album „Mittwochs ist er fällig“ füllen sie mühelos größere Säle mit einem nach Alter, Geschlecht und Szenezugehörigkeit bunt gemischten Publikum. Spätestens seitdem ihnen aber auch medial die höchste Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, müssen sie sich gegen die bloße Vereinnahmung als „Schlagerduo“ wehren.

Daß ihre Songs oft kitschig, schmalzig, traurig sind, halt die „ganze Gefühlspalette rauf und runter“, steht für Peter außer Frage. Doch daß da immer gleich die Definition Schlager in den Rosenstolz-Zusammenhang geschmissen wird – das ist Anna und Peter schon ein Dorn im Auge. „Hundertprozentig abstreiten“ will man die Nähe zum Schlager natürlich nicht, doch die Grenzen sind für Peter leicht zu bestimmen: „Schlager haben eine ganz andere Mentalität. Da wird beim Gesang ganz anders intoniert, und die Texte sind richtiger Schrott. Schlagersänger sind Interpreten, die schreiben keine einzige Zeile allein. Komisch ist das, wenn die über Gefühle singen, die sie gar nicht kennen. Andy Borg singt Schlager.“

Rosenstolz wollen auf das „private Gefühl“, auf „Verletzlichkeit“ – gemeinhin ja gerne mit Authentizität übersetzt – nicht verzichten: weswegen sie ihr viertes, im Sommer veröffentlichtes und sofort in die Top Ten der deutschen Charts eingestiegenes Album „Objekt der Begierde“ als das „intimste“ bezeichnen, das sie bisher gemacht haben; vor allem die Songs „Angst“ und „Der Moment“ seien schon „ziemlich an der Grenze“. Und natürlich schreiben sie jede Zeile ihrer Lieder selbst und komponieren und produzieren jedes ihrer Stücke (fast) ohne fremde Hilfe.

Was nichts daran ändert, daß sie auch auf „Objekt der Begierde“ mit blödsinnigen, nur bedingt ironisch zu nennenden Klischees arbeiten – „meine Mutter war 'ne Nonne, mein Vater wie der Papst, so wurde ich eine Keusche, die immer unterlag“ – mit bergeweise Kitsch und Schmalz, und daß das Sahnehäubchen wie gewohnt dieser synthetische, picobello sauber arrangierte Sound ist, der den Hintergrund für die meist von Anna kräftig und vollmundig gesungenen Lyrics bildet.

MTV, Viva und die Jugendradios sind so nicht gerade die Tummelplätze für ihre Songs – dafür sind sie nicht schlecht und nicht einfach genug (man denke an Blümchen, Scooter etc.), dafür enthalten sie zudem zuwenig andere aktuelle popmusikalische Einflüsse. Begehrlichkeiten wecken Rosenstolz ganz woanders: So gab es mehrere Einladungen zur ZDF- Hitparade, die Peter und Anna bisher konsequent ausschlagen konnten – eine Verweigerung, die sie sich vertraglich auch von ihrer neuen (Major)-Plattenfirma haben zusichern lassen.

Sich durch diese Unfährnisse zu lavieren, ist nicht ganz leicht: „Die ZDF-Hitparade ist ein Imperium. Die wird organisiert von Dieter Thomas Hecks Ehefrau. Die sucht die Künstler aus, pflückt sie sich aus dem Radio, und bestückt umgekehrt wiederum sämtliche deutsche Radiostationen. Komisch ist es, daß man nur schwer ablästern kann über diese Sendung. Du wirst sofort von zig Radiostationen boykottiert.“

Fettnäpfchen stellten sich auch in Form von Anfragen von FDP, PDS und auch der Postlergewerkschaft (!), und nicht umhin konnten sie, vor zwei Jahren einen Nachwuchs-Förderpreis der CSU- eigenen Hanns-Seidel-Stiftung anzunehmen und anläßlich der Preisverleihung in Bayern der dortigen, wie Peter das nennt, „Luxus-CSU- Bumsstube“ der Stiftung aufzutreten.

Wie auf einem „Familienhappening“ sei es da zugegangen, „die Leute waren mit Picknickkorb da, nur um zu gucken und sich zu freuen. Als wir dann ,Nymphoman‘ und ,Schlampenfieber‘ sangen (zwei Lieder mit mäßig anzüglichem Inhalt) konnte uns keiner mehr von der Bühne holen.“ Verbunden werden sollte das übrigens auch mit einem Auftritt bei der Amtseinführung Roman Herzogs: Diesen lehnten Rosenstolz jedoch ab, was die Trennung von ihrer damaligen Konzertagentur zur Folge hatte.

Wenn es überhaupt eine Gruppierung oder Gemeinde gibt, in der Rosenstolz sich verankert sehen, dann ist es die Schwulenszene, nicht zuletzt bedingt durch Peters Homosexualität: „Die schütten uns mit Liebe zu und bevölkern auch heute noch bei den Shows in den großen Venues die ersten Reihen.“ Hinsichtlich Pop und Politik halten es Rosenstolz zwar bevorzugt mit dem Satz: „Wenn du Politik ohne Liebe machst, machst du Scheißpolitik.“ Doch bei ihnen geht es auch handfester: Für das „Berlin macht Mobil“-Projekt zum Welt-Aids-Tag führen sie von jeder Eintrittskarte des morgigen Konzerts in der Arena eine Mark an die Deutsche Aids-Stiftung ab.