Das Lied vom dreibeinigen Pferd Pferdinand

■ Zum Verschenken fast zu schade: Die CD „1. Chansonfest Berlin“ ist erschienen

Jedes Jahr wieder dieselbe Frage: Was schenke ich bloß meiner besten Freundin, dem Onkel Bumba und Frau Birnbaum von nebenan? Diesmal fällt die Antwort leichter als sonst, denn auf dem 1. Berliner Chansonfest wurden sie alle drei besungen, und ab heute gibt es die CD mit dem Mitschnitt zu kaufen. Einträchtig haben hier zehn sehr verschiedene Sänger und Ensembles zusammengearbeitet. Uralte Gassenhauer und eigene Lieder der Künstler wechseln einander ab, auf neckische Couplets folgen traurige Chansons, und erstaunlicherweise paßt alles wunderbar zusammen.

„Die große Mode in Kalumba ist jetzt Rumba“, trällert virtuos das Duo Schall & Hauch: „Und wer das nicht kann, der steht dumm da.“ Die beiden Sänger wollen die Tradition des reimseligen Nonsens-Schlagers sogar selbständig weiterführen, doch hält ihr Lied über das dreibeinige Pferd Pferdinand den Vergleich mit „Onkel Bumba“ nicht aus.

Die übrigen Künstler widmen sich entweder der Tradition oder dichten selbst. Als allerniedlichste Geisha piepst Natascha Petz das Tucholsky-Lied „... Und in Japan ist alles so klein“ und verwandelt sich dann in eine ordinäre Berlinerin: Die „Birnbaum-Rhapsodie“ schildert ein groteskes Souper bei Neureichen und beweist dabei, daß Liszts „Ungarische Rhapsodie“ chansontauglich ist. Auch das sechsköpfige Ensemble Berliner Tingeltangel erfreut mit witzigen Ausgrabungen aus der Zeit, als der Kudamm noch Inbegriff von Luxus und Weltläufigkeit war. Nahtlos leitet ein Treppenhausklatsch zu einer Hymne auf „das große Warenhaus Berlin“ über. Andreas Kling schließlich trägt alte Piaf- Chansons angenehm unsentimental vor. Allerdings stiehlt ihm seine Begleiterin Elena Sara Klebig, die mit Abstand beste Pianistin des Chansonfestes, zwangsläufig die Show.

Sechs Sänger präsentieren ausschließlich eigene Werke. Tanja Ries schrammt mit ihren Texten hart am Kitsch vorbei; unbekümmert reimt sie Morgen auf Sorgen und singt von Rosen, Herzschmerz und Blut. Aber ihrer klaren, zärtlichen Stimme verzeiht man eigentlich alles. Gunnar König trägt traurig-ironische Lieder von Einsamkeit und gescheiterter Liebe vor, Boris Steinberg gibt den abgeklärten Weltmann und hat dazu Brechts „Surabaya-Johnny“ verhackstückt.

Drei begabte Komiker vervollständigen den Querschnitt durch die Berliner Kleinkunstszene. Mai Horlemann singt ein Lied darüber, daß sie keine Idee zu einem Lied habe, während ihr Pianist Charly Henn höchst unmusikalisch dazwischen blökt. Annette Kruhl besingt flott und witzig den Großstadtalltag und reimt Berlin auf Allergien und Halloween. Und Ulli Lohr, das Zirkuskind aus dem kurhessischen Bergland, drückt seinen quäkigen Tenor in akrobatische Baßtiefen, bevor er vom ungewöhnlichen Schicksal einer Rittersport- Vollmilch-Trauben-Nuß-Schokoladentafel berichtet.

Sämtliche Einnahmen aus dem CD-Verkauf kommen – wie schon der Erlös des Chansonfestes – der Berliner Aids-Hilfe zugute. Eine schöne Gelegenheit, Gutes zu tun und dafür etwas zu kriegen, das zum Verschenken doch fast zu schade ist. Miriam Hoffmeyer

CD „1. Chansonfest Berlin“, Edition Berliner Musenkinder. Die „Record Release Party“ mit Programm findet heute und morgen, jeweils 21 Uhr, in der Kalkscheune statt, Johannisstraße 2, Mitte