Von Maden und Mädchen Von Wiglaf Droste

Seitdem sie bei mir lebt, lerne ich beständig dazu. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, ein Wirtstier zu sein. Denn die Person ist eine Dame, und Dame ist nicht ohne Grund ein Anagramm von Made.

Und so eine leckere Made ist sie! Milchweiß und prall liegt sie da, räkelt und ringelt sich in der Suhle, und beständig strahlt sie eins nur ab: Feed me! Feed me! – wie die fleischfressende Pflanze in „The little Shop of Horrors“.

Nur allzu gerne tut man das: sie füttern. Leckere kleine Toasts schleppt man herbei, mit Liebe bebuttert, bis in die Ecken, rot und gelb bemarmeladet, mit Nutella bestrichen oder, zum zweiten oder dritten Gang, herzhaft belegt, mit Gürkchen, Zwiebelchen und Tomätchen garniert und sorgsam in Dreiecke geschnitten oder wahlweise in kleine, viereckige Häppchen, auch Reiterchen genannt.

Wutsch! kommt die Morgenzeitung durch den Türschlitz geflogen. Rasch klemmt man sie sich zwischen die Backen, fitscht wacker zur Made, wo man mit dem morgenlektüregespickten Hintern wackelt und dabei „Zeitungsjunge!“ ruft, bis die Made gnädig zum Tagblatt greift, während man selbst wieder weiterjagt, neue Nahrung anzuschaffen. Nur hin und wieder gönnt man sich ein winziges Päuschen, wischt sich den Schweiß vom Angesicht und legt sich nach Hausfrauenart ein Durchhaltelied auf: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn...“, „ein Schiff wird kommen, und das bringt mir den einen“, aber es kommt nicht, und da greift man dann doch lieber zu Helge Schneider: „Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann, daß für dich nichts übrigbleiben kann, deine Made möchte essen, das darfst du nicht vergessen...“

Doch bald schon ist man wieder am Start, denn dringend verlangt jetzt die Made, beplaudert zu werden, und das selbstverständlich nicht von der Stange, sondern klug, charmant und freundlich, komplimentär sozusagen. Darauf hat die Made ein Anrecht, findet die Made, und sie hat recht damit. Plötzlich versteht man auch, warum die Mitglieder sich für politisch haltender Gruppen und ähnlich prickelnde Kaninchenzüchterexistenzen ein trost-, weil madenloses Leben fristen müssen: Wenn es ans Plaudern geht, reden sie über sich selbst, also über die sog. Zusammenhänge, in denen sie, nach Möglichkeit schon seit Jahren, feststecken und auf der Stelle stehend lärmen, über Inis, Transpas und Flugis prahlen mit ihrer Ramschtischgesinnung und lamentieren wie die Oberförster über ihre „politische Heimat“, und so ist es dann auch.

Oder, wie es bei Heinz Erhardt, der sie auf schade reimt, über die Made heißt: „Denn der Gatte, den sie hatte, fiel vom Blatte.“ Pardauz, Oliver.

„Feed me! Feed me!“ ruft die Made wieder; nun wollen Madenseele und Madenbär gefüttert sein. „Genug der Worte! Taten, wir wollen Taten sehn!“ jankt die Made ausgelassen. Zyklusbedingt zieht sie am Tamponrückholfaden und begutachtet prüfend das baumelnde Ergebnis. „Braunes Fädchen, faules Mädchen, tss tss tss“, sagt sie und schüttelt wie zum Scherz den Kopf.

„Ich schling dich um!“ hört man die Made jauchzen, daß einem ihr Schlachtruf in den Ohren braust, und glückliche Erkenntnis durchströmt das Wirtstier: Die süßeste Erscheinungsform der Made ist das Mädchen.