piwik no script img

■ Fire and HigherDer Pyro-Kiss

Die Lust am Feuer und an der eigenen Sexualität wird von Kindern in ein und derselben Altersphase entdeckt. Kiss sind ein loderndes Beispiel dafür, daß das Spiel mit dem Feuer auch für Frühsenioren immer ein Kinderspiel bleibt. Insgesamt wurden zirka 100 sog. Bühnenfontänen gezündet, mindestens zwei Drittel davon spritzten nicht länger als eine Sekunde, bleiben unter drei Meter Höhe und sind im Großhandel für ca. eine Mark pro Stück erhältlich. Weiterhin verpufften während des zweistündigen Konzerts: zwei Rauchsäulen, einige Nebeleffekteinsätze, zwei sparflammige Videofeuerprojektionen, ca. 40 kurzzeitige Gelbfeuersäulen mit einer maximalen Brennhöhe von drei Meter, wahrscheinlich Lykopodium, eine Sicherheitsfackel, diverse Feuerzeugeinsätze brodelnder Kiss-Fans und einmal Feuerspucken von Gene Simmons bei einem Song, wo sich fire auf higher reimte. Unvergeßlich peinlich aus feuerkünstlerischer Sicht war die partiell (licht)glühende, auf der Videogroßprojektion manipulativ ins Brennen geratene Gitarre von Ace Frehley. Es ist bald 30 Jahre her, daß Jimi Hendrix sein Instrument während des Konzerts tatsächlich entzündete. Kommentar des Urhebers aller brennenden Gitarren: „You have to sacrifice things you love. You have to burn them.“ Nichtsdestotrotz emotionalisierten Kiss ihre Fans in die per Feuersimulation gewünschte Richtung. Als Gene Simmons in der Hölle, bis zur Hüfte aufwärts von Rauch umwallt, per oralem Bluterguß die effektrote Götterspeise auf seine Brust kleckerte, anschließend per Zugseil zur Hallendecke entschwebte und dort, im dunklen Hallenhimmel, links und rechts von ihm die Feuersäulen aufloderten, unterwarf sich die Berliner Anhängerschar mit brandendem Applaus den Blitz und Donner machenden Herrschern von Kiss. Wie sich dieses Autoritätsgefälle aufrecht erhalten läßt, wußten schon die Päpste von Rom. Jährlich ließen sie u.a. zahlreiche Pechpfannen auf ein Glockenzeichen hin entzünden, so daß die Kuppel der Peterskirche wie durch Gottes Hand mit Feuer übergossen schien. „Kiss is wie Papst“, war denn auch nach dem ohrenbrennenden Spektakel von einem Pyrolisierten zu hören. Kain Karawahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen