Wolken vor der Sonne überm Stern

Mercedes-Benz setzt ein bißchen auf Solarenergie und ärgert sich über eine „Initiative von unten“, die den Widerstand der Führungsetage gegen ein Sonnendach dokumentiert  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Wer mit der S-Bahn am neuen Motorenwerk von Mercedes-Benz in Stuttgart-Bad Cannstatt vorbeifährt, sieht seit wenigen Monaten auf dem Dach der Fabrik die größte gebäudeintegrierte Solaranlage Europas in der Sonne glitzern. Auf einer Fläche von 5.000 Quadratmetern produzieren die Zellen Strom für umgerechnet 130 Haushalte. Bei Mercedes reicht das immerhin aus, um Gabelstapler fahren zu lassen, die ihre Energie aus der Sonnensteckdose beziehen.

Daß unter dem Solardach in Bad Cannstatt PS-starke Sechs- und Achtzylindermotoren produziert werden, hinderte die Werksleitung nicht, den Neubau als „Fabrik der Zukunft“ zu feiern. Ökologie sei nicht länger Gegensatz zur Ökonomie. Seit wenigen Tagen aber sind Wolken vor den eitlen Sonnenschein bei Mercedes-Benz gezogen: Der Betriebsrat Gerd Rathgeb und der Mercedes-Techniker Bernhard Hindersin haben in einer Broschüre dokumentiert, wieviel Widerstand bei der Konzernleitung zu überwinden war, bis sich die in der Belegschaft entstandene Idee vom Solardach schließlich durchsetzte. Rathgeb und Hindersin zitieren nicht nur aus internen Briefen von Daimler-Chef Jürgen Schrempp und Mercedes- Chef Helmut Werner. Sie greifen auch die Firmenkultur scharf an: Bei Mercedes würde „Dinosaurierpflege“ betrieben und das Umweltthema im „Korsett betriebswirtschaftlichen Denkens erstickt“. Der Bau von Kampfflugzeugen und des Transrapids würde wichtiger erachtet als die Entwicklung von Zukunftstechnologie. Auslöser der Firmenschelte ist die Weigerung der Konzerspitze, auf dem benachbarten Dach eines weiteren Motorenwerks nun auch noch eine Solaranlage für Warmwasser zu installieren. Das schien Mercedes-Chef Werner dann doch zuviel des Guten. 700 Millionen Mark kostet das neue Werk, da hielten Rathgeb und Hindersin zwei Millionen Mark für die solare Wasseraufbereitungsanlage für nicht sonderlich viel. Doch Werner blieb stur. Der Vorschlag der beiden Ökofreaks sei wirtschaftlich nicht zu vertreten.

Seit dieser Woche nun prüfen die Hausjuristen bei Daimler- Benz, ob man den lästigen Sonnenanbetern nicht an den Karren fahren kann: Die Veröffentlichung der Broschüre nervt die Konzernzentrale, die in der Vergangenheit schon mehrfach darum gebeten hatte, „das Thema mit der nötigen Sachlichkeit zu kommunizieren“ und sich in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Kaum war die Dokumentation gedruckt, sagte die Pressestelle von Mercedes-Benz eine bereits vereinbarte Pressekonferenz mit Rathgeb und Hindersin zur Verleihung des Eurosolar-Preises ab. Der Preis ehrt die „Beharrlichkeit und Ausdauer“, mit denen die Initiatoren bei Mercedes-Benz ein „Zeichen für zukunftsfähige Arbeitsplätze“ gesetzt haben, erläutert der Präsident von Eurosolar und SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer.

Die Broschüre „Der Weg zur größten gebäudeintegrierten Solaranlage Europas“ gibt es bei Gerd Rathgeb, Tel.: (0711) 176 10 54.