Ein Papier, das keiner mehr kennen will

Ein Jahr lang berieten bündnisgrüne und sozialdemokratische Politiker über eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Nun geht die SPD auf Distanz zu dem Grundlagenpapier  ■ Aus Bonn Dieter Rulff

Nicht mehr und nicht weniger als „die Grundlage einer gemeinsam getragenen Außen- und Sicherheitspolitik“ der SPD und der Bündnisgrünen stellte der wissenschaftliche Direktor des Hamburger Instituts für Friedenspolitik, Dieter S. Lutz, gestern in Bonn vor. Das vierseitige Papier ist das Resultat eines Gesprächskreises beider Parteien, den Lutz zusammen mit der damaligen Bundessprecherin der Bündnisgrünen, Krista Sager, und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Günter Verheugen, im Januar dieses Jahres initiiert hat. „Ein breites Spektrum von Strömungen und Lagern“, so Lutz gestern, habe seine Positionen zur Nato-Osterweiterung, zur WEU, zur EU und zur OSZE zusammengetragen, konstruktiv und „niemals gehässig“.

Das „Grundlagenpapier“ hat nur einen Makel: Seit es am Wochenende durch eine Indiskretion öffentlich wurde, mag keiner der beteiligten Sozialdemokraten mehr sich dazu bekennen. Und so mußte Lutz gestern alleine vor die Presse treten.

Ursprünglich sollte er von je einem Vertreter der SPD und der Bündnisgrünen flankiert werden. Günter Verheugen will sich dazu nicht äußern, von der stellvertretenden Parteivorsitzenden Heidemarie Wieczorek-Zeul heißt es, sie sei nur einmal beim rot-grünen Gesprächskreis dabeigewesen. Der Sicherheitspolitiker Peter Zumkley kann die gemeinsamen Grundlagen nicht unterschreiben, und sein Kollege Gernot Erler bezeifelt gar, daß von den Sozialdemokraten überhaupt jemand an dem Papier mitgewirkt hat. Es enthalte Positionen, die in der SPD „nicht mehrheitsfähig“ seien.

Als Beispiel führt Erler die in dem Papier festgehaltene Unterstützung der OSZE an, „welche die Instrumente und Möglichkeiten besitzt, um das bestimmende Organ für Konfliktprävention, Krisenfrüherkennung, Krisenbewältigung, Streitschlichtung, Embargomaßnahmen, bis hin zum Einsatz eigener Streitkräfte als äußerstes Mittel zu werden“.

Während Lutz davon spricht, daß zwei Drittel des dreißigköpfigen Gesprächskreises das Papier zustimmend verabschiedet habe, macht Erler in der Schlußrunde lediglich seine Parteifreunde Egon Bahr und Konrad Gilges aus. Bahr jedoch ist nicht mehr Mitglied der Fraktion und Gilges eher in der Sozialpolitik beheimatet.

In der Frage der Nato-Osterweiterung melden wiederum die Linken bei den Bündnisgrünen Dissens zu dem Papier an, zumindest zu der Interpretation, die Lutz von den sehr schwammig gehaltenen Formulierungen liefert. Das Papier will eine Politik fördern, „welche die Beitrittswünsche zur Nato in einem Zusammenhang mit den sicherheitspolitischen Interessen aller übrigen Nicht-Nato-Staaten in diesem Raum bringt“. Während Lutz bei diesen Worten sicher ist, daß „die Nato-Osterweiterung kommt“ und als Vehikel für Abrüstungsverhandlungen benutzt werden kann, meint der Bündnisgrüne Ludger Volmer, daß lediglich die Befürchtungen der Erweiterungsgegner als Anforderung an ein Sicherheitssysten formuliert worden seien.

Ludger Volmer und seine Parteifreundin, die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer, gehen wie Lutz davon aus, daß der Gesprächskreis weitergeführt wird. „Trotz der Querschüsse“ hofft Lutz gar, daß die Parteiführungen, wie ursprünglich geplant, noch Stellung zu dem Papier nehmen.

Doch Rudolf Scharping warnt bereits vor einer Überbewertung der Ergebnisse. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hatte erst vor zwei Wochen die Gemeinsamkeit mit der Regierung betont, „daß man die Bedeutung der Nato, die OSZE oder die europäische Integration übereinstimmend einschätzt“. Entsprechend wertete er das Grundlagenpapier lediglich als „einen Schritt zu etwas mehr außenpolitischem Realismus der beteiligten Grünen“. Dafür will er sich allerdings auch einmal in den Gesprächskreis begeben.